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Nachtblind

Nachtblind

Titel: Nachtblind
Autoren: John Sandford
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den wahren Hintergrund auf.
    »Die Sache kommt doch nicht etwa einer Porno-Aufnahme nahe?«, fragte Lil jetzt Lynn leise, während sie beobachteten, wie Amnon Plain ihre Tochter in der Szene herumschubste. »Ich will keine verdammte Porno-Aufnahme.« Lil hatte entschieden etwas gegen Porno-Aufnahmen …
    »Du weißt selbst, dass sie so was niemals machen würden«, sagte Lynn beschwichtigend. Er trug einen schwarzen Anzug mit Schnurschleife um den Hemdkragen.
    »Wehe, sie tun’s trotzdem. Ich würde vor Scham sterben.«
    Sie kniff die Augen zusammen. »Sieh dir Jax an. Ich glaube, er tut unserer Tochter gut.«
    Jax – er hatte anscheinend keinen Nachnamen – starrte durch den Sucher einer Nikon F5 auf die Szene. Er betrachtete sich selbst als Fotografen, obwohl er noch nicht viele Fotos gemacht hatte. Aber Fotografieren war ja wohl keine große Kunst, oder? Man guckt durch das kleine Sucherfenster und drückt auf den Auslöser, fertig … Alie’e fragte ihn: »Hast du was dabei?« Jax ließ die Kamera sinken, tippte sich mit den Fingerspitzen an die Stirn, und die beiden gingen ein Stück zur Seite an die Bordwand des Kahns. Jax nahm eine Plastik-Nasensprayflasche aus der Tasche und reichte sie ihr. Alie’e zog die Verschlusskappe ab, steckte die Spitze in ein Nasenloch und drückte auf das Fläschchen, einmal, zweimal. »Wow, wow«, murmelte Jax, »nicht zu viel, es ist nicht gut für deine Augen.« Wenn man so große grüne Augen hatte wie Alie’e, sollten die Pupillen nicht noch zusätzlich erweitert sein.
    Amnon Plain schob Scheinwerfer in neue Positionen, während seine Assistenten die Kameras mit Kodachrome-Filmen neu luden. Alie’e würde ein zerrissenes blassblaues T-Shirt tragen, das dem Zweck diente, die Andeutung einer erigierten Brustwarze in dem Riss zu zeigen, und der Film musste den delikaten Kontrast zwischen dem Rosa der Brustwarze und dem Blau des T-Shirts unterstreichen. Bei dem Kodachrome-Film würde das flackernde Licht der Fackel hinter ihr die Farben nicht grell betonen, wie es bei einem Fuji-Film wäre, aber das war bei dieser Aufnahme durchaus beabsichtigt.
    Plain wog in Gedanken noch die Wertigkeit der Farben ab, als Alie’e hinter ihm sagte: »Hallo Jael.«
    Plain drehte sich um. Seine Schwester stand im Zugang zum Rumpf des Kahns, knapp innerhalb des Lichtscheins. »Was willst du hier?«, fauchte er sie an.
    Jael Corbeau – sie hatte nach der Scheidung der Eltern zusammen mit der Mutter deren Geburtsnamen angenommen – war im Kontrast zu Amnon Plain ein heller blonder Typ. Trotz dieses Unterschiedes waren sie sich im Gesicht erstaunlich ähnlich – keilförmige Gesichtsform, kantig, großäugig.
    Jael war früher selbst einmal Model gewesen, doch sie hatte das Geld nicht gebraucht, das Model-Leben langweilig gefunden und war ausgestiegen. Bei aller Ähnlichkeit gab es einen auffallenden Unterschied: Drei lange blasse Striemen zogen sich über Jaels Gesicht – Narben. Zunächst einmal war sie eine schöne Frau, aber die Narben verliehen ihr eine ganz besondere Attraktivität. Auffallend. Aufregend. Erotisch. Exotisch. Etwas ganz Besonderes …
    »Ich wollte Alie’e besuchen«, sagte sie mürrisch.
    »Besuch sie woanders«, sagte Plain. »Wir versuchen hier zu arbeiten.«
    »Sei nicht so barsch zu mir, Plain.«
    »Verdammte Scheiße, verschwinde aus meinem Blickfeld«, fauchte Plain und ging auf sie zu. Jedes andere Gespräch erstarb, und Clark, der Schweißer, stand verunsichert auf und schob das Schutzvisier zurück. In Plains Stimme vibrierte Gewalttätigkeit.
    Alie’e, hinter ihm stehend, sagte schnell: »Heute Abend ist bei Silly eine Party, neun Uhr.«
    Jael war einen Schritt zurückgetreten, weg von ihrem Bruder. Sie hatte keine Angst, aber sie zweifelte auch nicht daran, dass Plain sie unter Anwendung physischer Gewalt aus dem Rumpf des Kahns stoßen würde. Er war nun einmal größer und stärker als sie. »Bei Silly um neun«, wiederholte sie, drehte sich um und ging.
     
     
    Plain sah ihr nach, bis sie außer Sichtweite war, drehte sich um, schaute zu Clark hinüber, der wie ein Sumo-Ringer im Hintergrund kauerte, atmete tief durch und wandte sich dann an den Repräsentanten der Modefirma. »Ich habe eine Idee für die Aufnahme.«
    Der Repräsentant der Modefirma war ein Deutscher namens Dieter Kopp. Er hatte einen Bürstenhaarschnitt, einen Zweitagebart und ein schmales, hageres, blasses Gesicht; die Wangen waren von dunklen Flecken übersät, vermutlich
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