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Nacht über Eden

Nacht über Eden

Titel: Nacht über Eden
Autoren: V.C. Andrews
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schienen bestürzt über mein betrübtes Gesicht. Hastig schluckte ich meine Tränen hinunter und lächelte ihnen durch den Schleier vor meinen Augen zu.
    »Vielleicht ist jedes meiner Bilder von Farthinggale Manor anders, weil sich das Haus selbst verändert«, sagte ich schließlich mit leiser Stimme. Lukes Augen leuchteten freudig auf, und ein Lächeln spielte um seine weichen Lippen. Er wußte, was dieser Ton in meiner Stimme verhieß. Wir würden unser Märchenspiel spielen und unsere Phantasie unbekümmert schweifen lassen. Ohne Scheu würden wir Dinge sagen, die anderen siebzehn- oder achtzehnjährigen Teenagern kindisch vorkommen würden.
    Aber dieses Spiel hatte noch eine andere Bedeutung für uns.
    Hier konnten wir Dinge aussprechen, die wir sonst nicht zu sagen gewagt hätten. Ich konnte seine Prinzessin sein und er mein Prinz. Indem wir uns hinter Phantasiegestalten verbargen, konnten wir zum Ausdruck bringen, was wir im Innersten unserer Herzen füreinander empfanden.
    Drake schüttelte den Kopf. Auch er wußte, was nun kommen würde.
    »O nein«, rief er, »ihr werdet doch nicht schon wieder anfangen.« Auf seinem Gesicht lag gespielte Verzweiflung.
    »Vielleicht ist Farthy nur im Winter grau und düster und im Sommer hell, blau und freundlich«, begann ich und blickte zu dem strahlend blauen Himmel empor. Dann wandte ich meinen Blick Luke zu.
    »Vielleicht ist es immer so, wie du es dir gerade wünschst«, sagte Luke und spann den Faden weiter. »Wenn ich mir wünsche, daß es aus Zucker und Ahornsirup besteht, dann wird es so sein.«
    »Zucker und Ahornsirup?« feixte Drake.
    »Und wenn ich will, daß es ein wunderbares Schloß ist, mit Hofmarschall, Hofdamen und einem traurigen Prinzen, der sich nach seiner Prinzessin sehnt, dann wird es so sein«, antwortete ich mit erhobener Stimme, um ihn zu übertönen.
    »Darf ich der Prinz sein?« fragte Luke rasch und stand auf.
    Unsere Blicke sanken ineinander, und mein Herz begann heftig zu pochen, als er auf mich zukam.
    Er ergriff meine Hand; seine Finger waren warm und weich.
    Nun war sein Gesicht nur wenige Zentimeter von meinem entfernt…
    »Meine Prinzessin Annie«, flüsterte er. Mein Herz klopfte stürmisch. Gleich würde er mich küssen.
    »Nicht so schnell, ihr Turteltäubchen«, mischte sich Drake plötzlich ein und humpelte mit gekrümmtem Rücken auf mich zu, als sei er alt und bucklig. »Ich bin Tony Tatterton«, raunte er mit drohender Stimme, »und ich komme, um Eure Prinzessin zu entführen, Sir Luke. Ich lebe im tiefsten, dunkelsten Teil des Schlosses Farthy, und sie wird mit mir kommen und für immer in meiner Welt gefangen sein. Sie wird die Prinzessin der Finsternis werden«, stieß er mit einem boshaften Lachen hervor.
    Luke und ich starrten ihn an. Der überraschte Ausdruck auf unseren Gesichtern schien ihn zu verunsichern, und sein Körper straffte sich wieder. »Was für ein Blödsinn«, meinte er.
    »Jetzt habe ich mich selbst hinreißen lassen.« Er lachte.
    »Es ist kein Blödsinn. Unsere Phantasien und Träume wecken unsere Kreativität. So hat es uns Miß Marbleton kürzlich in der Schule erklärt, nicht wahr, Luke?« Luke nickte nur. Er sah verärgert und tief verletzt aus.
    »Sicher hat sie damit nicht gemeint, daß ihr Geschichten über Farthy erfinden sollt«, erwiderte Drake und grinste.
    »Aber möchtest du nicht auch wissen, wie Farthy wirklich ist, Drake?« fragte ich.
    Er zuckte die Achseln.
    »Demnächst werde ich mir etwas Zeit nehmen und einfach vom College aus hinfahren. Es ist nicht weit von Boston«, fügte er beiläufig hinzu.
    »Wirst du das wirklich tun?« Diese Vorstellung erfüllte mich mit Neid.
    »Sicher, warum nicht?«
    »Aber Mammi und Daddy hassen es, darüber zu sprechen«, erinnerte ich ihn. »Sie werden wütend sein, wenn sie es erfahren.«
    »Dann sage ich es ihnen eben nicht«, sagte Drake. »Ich sage es nur dir. Es wird unser Geheimnis sein, Annie«, fügte er ein wenig spöttisch hinzu und sah Luke scharf an.
    Luke und ich wechselten einen Blick. Drake begriff einfach nicht, warum Farthy so wichtig für uns war.
    Wann immer ich Gelegenheit dazu hatte, betrachtete ich die Bilder von Mammis und Daddys wunderbarem Hochzeitsfest, das in Farthinggale Manor stattgefunden hatte. Auf den Fotos waren elegante Menschen zu sehen; die Männer trugen Smoking und die Frauen wunderbare Abendkleider. Und an den Tischen, die sich unter dem kalten Büffet bogen, eilten Diener mit Silbertabletts voller
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