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Nacht ohne Schatten

Nacht ohne Schatten

Titel: Nacht ohne Schatten
Autoren: Gisa Klönne
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Mutter hat Alzheimer.«
    Â»Wir schicken einen Kollegen hin«, sagt die Krieger. »Was ist mit den Überwachungskameras?«
    Der Glatzkopf windet sich. Das Geld, der Vandalismus, die Fallstricke der öffentlichen Hand, blablabla. Selbstverständlich werde man alles tun, die Ermittlungen der Polizei zu unterstützen. »Geben Sie uns bitte ein paar Stunden Zeit.«
    Judith Krieger zerknüllt ihren Kaffeebecher und schleudert ihn in einen Abfalleimer. Die Geste ist unmissverständlich, so gedenkt sie mit allen zu verfahren, die sie behindern. KHK Krieger in Höchstform. Die letzten Monate Zusammenarbeit mit ihr waren tatsächlich richtig nett. Warum ist Manni jetzt plötzlich sauer auf sie? Weil sie ihn so spät gerufen hat. Weil sieihn überhaupt gerufen hat. Weil sie sich aufführt, als sei sie der Chef. Er zieht den Reißverschluss seiner Jacke hoch. Seine Finger duften noch nach der Frau in seinem Bett. Er hat verflucht noch mal gehofft, dass diese Nacht ohne Anruf vergeht.
    Die Spurensicherer wuseln um das Zelt herum, das sie neben der S-Bahn über dem Opfer errichtet haben. Kamerablitzlicht zuckt. Weitere Kollegen kriechen über den Bahndamm und wühlen im Müll, der sogar hier liegt, wo eigentlich niemand entlanglaufen darf. Manni späht unter die Zeltplane. Das Opfer ist fast völlig mit nummerierten Klebestreifen bedeckt.
    Â»Jede Menge Faserspuren, wir werden viel zu tun haben in den nächsten Tagen!« Der Kriminaltechniker Klaus Munzinger hat rote Apfelbäckchen, wie immer, wenn er in Schwung ist. Auch seine Gattin dürfte nicht weit sein, Karin. Vor ein paar Monaten haben die beiden geheiratet. Als ob es noch nicht reichte, Tag für Tag zusammen zu arbeiten.
    Â»Habt ihr die Tatwaffe?«, fragt die Krieger.
    Â»Wir suchen noch.«
    Suchen, denkt Manni, na klar. Die Jacke, die der Fahrer getragen haben muss. Den Rucksack, den er seinem Kollegen zufolge immer dabeihatte. Den Täter, sein Motiv, einen brauchbaren Zeugen, irgendeine Spur. Der Regen wird stärker, einer der Spurensicherer stolpert und flucht. Wo verläuft die Grenze zwischen Sorgfalt und Irrsinn? Das ist eine Frage, die sich, was polizeiliche Ermittlungsarbeit angeht, nicht immer befriedigend beantworten lässt.
    * * *
    Ein feuchtwarmer Wind weht vom Westen her auf den Balkon, der Himmel ist schwarz. Der Wind bringt nichts Gutes. Der Gedanke ist plötzlich da, nein, kein Gedanke, eine Gewissheit, die sie nicht begründen kann und deshalb augenblicklich zu ignorieren beschließt. Ekaterina Petrowa zieht den Morgenmantel enger um sich und geht zurück in ihre Küche. Es istSamstag, gerade erst fünf Uhr, sie hat frei, es gibt keinen Grund, irgendetwas zu befürchten. Sie könnte sich noch einmal hinlegen, aber sie ist eine Frühaufsteherin, und sie mag Gewohnheiten, also bereitet sie wie jeden Morgen einen Teller Haferbrei mit Butter und braunem Zucker zu, trinkt eine Kanne schwarzen Tee und liest die
Prawda
und die
FAZ.
Um 6:30 Uhr ist sie fertig und spült das Geschirr unter fließendem Wasser.
Prawda
heißt Wahrheit, aber die Zeitung ist voller Lügen, wie früher auch, nur dass ihr neuer Gott freie Wirtschaft heißt, was wiederum bedeutet, dass einige wenige sich die Freiheit nehmen, Russland noch skrupelloser auszubeuten als die alten Machthaber, die sich Kommunisten nannten, denen es angeblich auch um Gerechtigkeit ging.
    Ich sollte die
Prawda
wirklich abbestellen, denkt sie, während sie den Pullover anzieht, den sie sich zu Weihnachten gekauft hat. Violettes Mohair mit eingewirktem Glitzerfaden, sehr, sehr schön. Die
Prawda
taugt allenfalls dazu, Fisch einzuwickeln oder den Ofen anzuheizen, Katjuschka. Sie lächelt bei der Erinnerung an die Inbrunst, mit der ihre Großmutter dies ein ums andere Mal wiederholt hat. Und trotzdem muss man den Feind beobachten, denn das heißt ihn kennen. Also liest Ekaterina die
Prawda,
obwohl sie längst die Hoffnung aufgegeben hat, dass sich in ihrer Heimat so etwas wie Pressefreiheit durchsetzen wird.
    Pudrig violetter Lidschatten, passend zum Pullover, nicht viel, nur ein Hauch. Lippenstift, dessen Farbton winterlich kühl ist, ebenfalls perfekt zum Pullover passend. Sie fährt mit der Bürste über ihr kurzes Haar, bewundert die neuen, kirschroten Strähnchen im glänzenden Schwarz. Sie hat dieses Schwarz schon oft verflucht, aber so gefällt es ihr. Sie lächelt ihrem
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