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Nacht der Zaubertiere

Nacht der Zaubertiere

Titel: Nacht der Zaubertiere
Autoren: Dean R. Koontz
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herab und verschwand in der Finsternis.
    Die blanke Klinge schob sich Stück für Stück die Ritze entlang, stocherte am Deckel und hebelte einen Nagel nach dem anderen heraus. Dann wurde der Deckel zurückgestoßen, und Rex sprang aus der Kiste, die jahrzehntelang sein Sarg gewesen war.
    Rex war eine große, schlanke Marionette, an deren Gliedern jedoch keine Fäden befestigt waren. Er trug schwarze Schuhe, einen schwarzen Smo-
    king, einen schwarzen Zylinder, weiße Weste, weißes Hemd, weiße Masche und weiße Handschuhe.
    Mit einem kalten, wilden Blick versuchte er, die Schatten ringsum zu durchdringen. Die weißen Kleidungsstücke waren mit verblichenen grauen und gelben Flecken übersät. Seine Smokingjacke war verstaubt und an manchen Stellen fadenscheinig. Die rechte Jackenschulter war von Motten zerfressen, so daß das Schultergelenk seines Holzgestells durchschimmerte. Die rote seidene Nelke im Knopfloch war zerknittert und zerzaust.
    Als er sich aus der Kiste schwang, wickelten sich Spinnweben um seine Glieder. Er bürstete sie sich von den Smokingärmeln und der Hose.
    Rex lächelte, aber in diesem Lächeln lag weder Heiterkeit noch Wärme. Sein schmales, grausames Gesicht war wie das eines Schauspielers geschminkt: blaß, bis auf das Rouge auf beiden Wangen, die nachgezogenen Augenbrauen und die knallroten Lippen.
    »Ich lebe«, sagte er, wobei seine Stimme geisterhaft durch das düstere Gewölbe hallte, »endlich lebe ich wieder.«
    Er trug einen dünnen schwarzen Stock, der keinen Griff, sondern einen Silberknauf hatte und sicher nicht Stütze und Stab war, sondern eher zum Kostüm eines Revuetänzers gehörte. Aus seiner Spitze ragte eine blanke Stahlklinge heraus. Wenn Rex einen Knopf auf dem Knauf berührte, schnappte das Messer in den Stock zurück und war vollkommen unsichtbar.
    Das schwache, bläulichweiße Licht aus der bunten Glaskuppel begann allmählich heller zu werden. Dann ging auch die zweite Deckenlampe in dem riesigen Gewölbe an, und langsam wurde es hell. Der tiefe Keller war wie ein Lebewesen, das nach einem langen tiefen Schlaf wieder erwacht.
    Rex lachte. Es war ein kaltes, böses Lachen.
    Rex war ein Spielzeug wie die Zaubertiere zwei Stockwerke höher. Aber er war ein böses Spielzeug.
     
     
    Amos stand immer noch auf dem hölzernen Schemel und sprach zu seinen Freunden: »Heute morgen hat Vater Isaak beschlossen, wer der nächste Spielzeugzauberer sein soll. Seine Wahl ist auf Martha Miller gefallen. Ihr gehört der Spielzeugladen in der Stadt.«
    »Martha Miller ist nett«, sagte einer der Plüschpinguine vom Sofa her, wo er zusammen mit einer Katze, einem Hund und einem fetten grünen Frosch saß.
    »Ich mag sie auch«, sagte Einstein, der Elefant. Er war ein stämmiger Bursche, der ein weißes Hemd mit aufgerollten Ärmeln trug, eine rehbraune Weste und eine dunkelbraune Hose, die von Hosenträgern gehalten wurde. »Ich mag Martha Miller so gerne, wie ich Erdnüsse mögen würde, wenn ich ein echter Elefant wäre und essen könnte.« Er ließ seine Ohren leicht flattern und schwenkte seinen Rüssel einmal hin und einmal her, um seine Worte zu bekräftigen.
    Die anderen Tiere murmelten zustimmend.
    »Vater Isaak wollte sie für heute nachmittag oder für morgen einladen«, führ Amos fort, »wollte uns vorstellen und ihr erklären, was es für eine Ehre und Verantwortung ist, der nächste Spielzeugmacher zu sein. Aber jetzt...«
    »Ja, aber jetzt...«, sagte das Karnickel traurig und schaute zum Sofa, auf dem Vater Isaak gestorben war.
    Amos sagte: »Nun ist es also unsere Aufgabe, zu Martha Miller zu gehen und ihr zu sagen, daß sie das Amt des Spielzeugmachers übernehmen muß.«
    »Zu ihr gehen?« fragte Karamel, das Hundemädchen. Sie tappte aus der Ecke heraus, in der sie gelegen hatte. Ihr Fell war weich und am Rücken goldblond, Schwanz und Ohren gingen in dunkles Braun über. Bauch und Brust waren weiß, ebenso ihr Gesicht, das einen sanften und freundlichen Ausdruck besaß. Ihre Pfoten waren ebenfalls weiß, als ob sie in kleinen Stiefeln steckten. Sie schaute zu Amos empor und runzelte die Stirn. »Das kann nicht dein Ernst sein. Wie können wir denn zu ihr gelangen? Sie wohnt doch meilenweit von hier entfernt.«
    »Wir haben doch Füße und Pfoten, oder nicht?« antwortete Amos.
    Durch die Werkstatt ging ein erschrockenes Keuchen, als den Zaubertieren plötzlich klar wurde, was Amos da vorschlug.
    Der Donner rollte wie das Dröhnen einer mächtigen Maschine durch
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