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Nacht der Zaubertiere

Nacht der Zaubertiere

Titel: Nacht der Zaubertiere
Autoren: Dean R. Koontz
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werden wir immer zusammen sein.«
    »Erinnerung?« hatte Hupf, das Karnickel, gefragt, heftig wie immer. Es hatte den Kopf zur Seite seines umgeknickten Löffels geneigt, als ob ihn dessen Gewicht herabzöge — das andere Ohr stand senkrecht nach oben —, und hatte dem Spielzeugmacher zugezwinkert. »Erinnerung ist nicht genug. Erinnerung verblaßt —«
    »Meine aber nicht«, sagte Einstein, der Elefant, mit aller Entschiedenheit.
    »Also gut, Herr Schlauchnase, dann nur die von allen anderen.«
    »Ein Jammer, daß nicht alle Elefanten sind«, antwortete Einstein.
    »Um Himmels willen!« rief Hupf. »Wenn es nur Elefanten auf der Welt gäbe, dann hätten sie schon alles Grünzeug mit Stumpf und Stiel aufgefressen und wären schon längst ausgestorben. Elefanten sind wandernde Freßsäcke. Und kannst du dir das Getöse vorstellen, wenn Elefanten lostrompeten und mit ihren Tausenden von schweren Füßen auf die Erde stampfen?« Ehe Einstein eine Antwort geben konnte, hatte sich Hupf schon wieder dem alten Isaak zugewandt und gesagt: »Nein, Vater Isaak, die Erinnerung an dich reicht ganz und gar nicht aus.«
    »Ich furchte aber, das muß euch reichen«, hatte Herr Liebmann ruhig, aber entschieden erwidert.
    Und jetzt, in seinem Arbeitszimmer, war er mit Amos genauso ruhig und entschieden. »Mach dir Gedanken über dieses Leben, Amos. Gib dir Mühe, auf dieser Welt richtig zu handeln. Um die andere Welt brauchst du dir keine Sorgen zu machen, mag sie sein, wie sie will.«
    Obgleich er nur ein ausgestopfter Spielzeugbär war, besaß Amos einen festen und zuverlässigen Bärencharakter. Es dauerte lange, bevor er sich aufregte, er war geduldig, und er neigte dazu, erst zur Tat zu schreiten, wenn er über alle Möglichkeiten gründlich nachgedacht hatte. Deshalb starrte er Vater Isaak auch jetzt eine Zeitlang an, nickte dann bedächtig, ließ sich auf dem Löschblatt nieder und sagte: »Jawollja«, was bedeuten sollte: Ja, damit bin ich einverstanden.
    Isaak Liebmann lehnte sich in seinem Sessel vor, dicht an die Lampe, und sagte: »Aber ich will dir verraten, was das Zeichen auf deinem Pullover für eine Bedeutung hat.«
    Amos riß die Augen auf. »Das willst du wirklich?« Seitdem er vor ein paar Monaten auf dem Arbeitstisch des alten Mannes zum Leben erwacht war, hatte sich Amos über das geheimnisvolle Zeichen auf seinem blauen Pullover den Kopf zerbrochen.
    »Alpha und Omega«, sagte Vater Isaak.
    »Wie?«
    »Das bedeutet: der Erste und der Letzte.«
    »Was für ein Erster und Letzter?«
    Vater Isaak beugte sich noch weiter vor, bis sein freundliches Gesicht wie ein Vollmond dicht über Amos schwebte. »Wenn ich gestorben bin, dann kann eine Zeit kommen, in der der neue Spielzeugmacher seine Aufgabe noch nicht ganz erfüllen kann. Es dauert immer eine Weile, bis man den Zaubermantel wirklich übernimmt und bis man ihn erträglich findet. In dieser Zeitspanne also, in der der neue Spielzeugmacher seine Kraft noch nicht beherrscht, kann es — kann es Unannehmlichkeiten geben, Gefahr. ..«
    »Was für Unannehmlichkeiten, was für Gefahren?« fragte Amos, dessen freundliches Zottelgesicht lauter Sorgenfalten schlug.
    Isaak Liebmann zögerte, dann stieß er einen Seufzer aus. »Das wirst du schon merken, wenn es soweit ist. Und dann wirst du der Erste der Zaubertiere sein, ihr Führer in allen Stunden der Gefahr.«
    »Ich? Ihr Führer? Hmmm. Ich weiß aber nicht —«
    »Ja, du wirst sie führen können, Amos. Ich habe dich als ihren Anführer geschaffen.«
    Stolz stieg in Amos auf, und er setzte sich wieder kerzengerade hin und blähte die Brust. Er dachte über das nach, was Vater Isaak gesagt hatte, und dann nickte er. »Gut. Ich werde sie führen. Du kannst dich auf mich verlassen.«
    »Du wirst der erste sein, den das Unheil trifft.«
    »Ja, Vater Isaak, so wird das sein«, antwortete Amos, obgleich er keine Ahnung hatte, was für ein Unheil ihn treffen könnte.
    »Und du wirst der letzte sein, der ihm den Rük- ken kehrt.« Amos stand auf, riß die Schultern zurück und nickte.
    Das dünne stählerne Brillengestell des alten Spielzeugmachers schimmerte im Licht der Lampe mit dem bunten Glasschirm sonnengelb. Auf einem Glas spiegelten sich blaue, grüne und rote Flecken. Vater Isaak war bedrückt und gar nicht so wie sonst. »In schweren Zeiten wirst du der erste sein, der seine Freunde ermuntert, und der letzte, der sich unterkriegen läßt. Du wirst als erster Mut fassen und dich als letzter
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