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Nachsuche

Nachsuche

Titel: Nachsuche
Autoren: Kuhn Kuhn
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Fenster.
    Der andere lässt die Scheibe herunter.
    »Was machen Sie da?«
    »Das kann jeder fragen. Was wollen Sie und wer sind Sie?«
    Als Noldi sich ausweist, sagt er: »Ah, der Herr Polizist«, und springt aus dem Wagen.
    »Rüdisühli mein Name, wir haben telefoniert. Haben Sie das Reh gefunden?«
    »Das Reh«, sagt Noldi verständnislos, klappt aber sofort den Mund wieder zu. Er hat das Reh vollständig vergessen. Das muss er dem Mann allerdings nicht auf die Nase binden. Er umrundet prüfend das Auto. An der rechten Vorderseite ist der Scheinwerfer eingeschlagen und der Kotflügel beschädigt.
    Noldi fragt: »Wo waren Sie? Ich habe Ihnen gesagt, Sie sollen sich nicht vom Fleck rühren.«
    »Das habe ich«, erwidert Rüdisühli, »die längste Zeit. Aber keiner ist aufgetaucht. Da bin ich weggefahren. Ich brauchte dringend einen Kaffee.«
    »Und haben Sie ihn bekommen?«, fragt Noldi automatisch.
    »Ja, hat leider gedauert. Alles war noch zu.«
    »Und wo?«
    »In Bichelsee im Löwen«, antwortet der andere ungehalten.
    Noldi überlegt während der unsinnigen Konversation, ob dieser Rüdisühli etwas mit der Leiche zu tun haben kann. Sie schaut zwar nicht ganz frisch aus. Aber vielleicht ist er an den Tatort zurückgekommen, warum auch immer. Da wäre er schön blöd, denkt er, wenn er sich jetzt freiwillig meldet.
    »Was ist mit dem Reh?«, erkundigt sich Rüdisühli noch einmal.
    »Wir suchen es«, sagt Noldi diplomatisch.
    »Geben Sie mir Ihre Personalien, dann halte ich Sie nicht länger auf.«
    Rüdisühli ist erleichtert, Noldi misstrauisch. Er nimmt die Daten auf.
    Der Mann wohnt in Wil, St. Gallen.
    »Wo waren Sie vorige Nacht?«
    »In Eschlikon in der Krone«, gibt Rüdisühli zunehmend verärgert Auskunft.
    »Wie lange waren Sie dort?«
    »Bis gegen zwölf.«
    »Und dann?«
    »Bin ich auf den nächsten Parkplatz gefahren und habe geschlafen, wegen der Promille. Ich bin Vertreter für Landwirtschaftsmaschinen, da kann ich mir nicht erlauben, meinen Führerschein aufs Spiel zu setzen.«
    »Aha«, sagt Noldi, »und was macht man dann zwischen Oberhofen und Neubrunn um fünf Uhr in der Früh, wenn man aus Eschlikon kommt und in Wil wohnt?«
    Jetzt wird Rüdisühli wütend.
    »Was geht Sie das an? Ich habe den Unfall gemeldet. Dafür will ich eine Bestätigung. Das ist alles.«
    »Also, Herr Rüdisühli«, sagt Noldi, »dann können Sie jetzt fahren. Sie hören von uns. Wir stellen Ihnen die Bestätigung zu.«
    Der andere steigt in den Wagen und fährt los. Noldi notiert noch schnell die Autonummer.

    Rüdisühli überdenkt während der Fahrt seine Situation. Er ist achtundvierzig, gut aussehend, ein äußerst umsichtiger Mann. Soviel er sehen kann, überlegt er, hat er keine Fehler gemacht. Er hat ein Reh angefahren, doch das nützt ihm eher, als es ihm schadet. Er war nicht betrunken und es ist ihm nichts passiert. Er hat den Unfall ordnungsgemäß gemeldet. Seine Frau wird Mühe haben, ihm etwas vorzuwerfen, am allerwenigsten sein langes Ausbleiben.
    Rüdisühli ist geschieden und wieder verheiratet. Aus seiner ersten Ehe hat er einen Sohn, von dem er nicht einmal weiß, was aus ihm geworden ist. Seine zweite Ehe blieb kinderlos. Scheidungsgrund war seine jetzige Frau, die ihm vollkommen den Kopf verdreht hat. Leider hielt seine Begeisterung für sie nicht an. Die Dame erwies sich, kaum verheiratet, als eher träge und ungepflegt. Von dem Feuer, das sie als seine heimliche Geliebte gezeigt hatte, blieb nicht viel mehr als Eifersucht.
    Trotzdem führt Rüdisühli eine mustergültige Ehe. Er trägt seine Frau auf Händen und liest ihr jeden Wunsch von den Augen ab – wenn er daheim ist, was jedoch selten vorkommt. Das bringen sein Beruf mit sich und das unstillbare Bedürfnis nach diesen hastigen, heimlichen Begegnungen mit anderen Frauen. Sie müssen nicht schön und jung sein. Seine Zielgruppe sind eher die so genannten einsamen Herzen, alleinstehende Frauen mittleren Alters, die, wider besseres Wissen, ihre Hoffnungen auf Männer wie ihn setzen. Wenn ihm das jeweilige Opfer, nachdem er es auf sein Erscheinen lange genug hat warten lassen, gleich bei der Wohnungstür mit einem seligen Seufzer in die Arme sinkt, fühlt er sich als toller Hecht. Er will keine Beziehung, auch Sex ist sekundär, er will nur dieses Gefühl von Macht, danach ist er süchtig. Sobald eine Frau beginnt, Ansprüche an ihn zu stellen, was früher oder später stets der Fall ist, tritt er den Rückzug an. Rüdisühli verheimlicht
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