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Nach Santiago - wohin sonst

Nach Santiago - wohin sonst

Titel: Nach Santiago - wohin sonst
Autoren: Peter Lindenthal
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werde ich es sicher öfter brauchen — , Gaskocher, Kochgeschirr, Feldflaschen, Taschenmesser, Alumatte, Wasch- und Nähzeug, Handtuch, Erste-Hilfe-Mindestausstattung, Taschenlampe, Proviant (auch für den Hund), Socken, Unterwäsche, Hemden und T-Shirts zum Wechseln, kurze und lange Hose, Hut und Stock, Karten, Wanderführer, Buch, Geld, Papiere...
    Ich sortiere aus, packe, packe aus, sortiere neu, diesmal strenger, packe neu etc. Eine unangenehme, aber sehr wichtige Arbeit, jedes Gramm zuviel zählt und macht sich irgendwann unangenehm bemerkbar. Was brauch’ ich wirklich? Was kann ich entbehren? Was bin ich nur gewohnt, ist aber nicht wirklich unentbehrlich? Eigentlich eine gute Vorbereitung auf die Pilgerfahrt und eines ihrer „Lernziele“: das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden, Ballast abwerfen, um Platz und Kraft zu gewinnen für das wirklich Wichtige. Eigentlich dasselbe wie in meinem Sabbatjahr, nur noch komprimierter. Sozusagen die „Gesellenprüfung“ zum Abschluß dieses Jahres. Die Meisterprüfung kommt später — das Leben als solches.
    Am Abend stelle ich mein Auto bei Jean Paul und Flaminia ab, die mich nach Montpellier zu Jean und Francine bringen. Von dort geht es weiter nach Vauvert in der Camargue, Jean und ich werden dort bei seiner Schwiegermutter übernachten. Sie wird uns beide, besser uns drei, morgen früh nach Arles bringen.
    Und schon kann ich den ersten Lernerfolg verbuchen: Der Freßnapf von Ajiz bleibt in Montpellier, er kann genausogut aus der Alu-Schüssel fressen, die ich sowieso mithabe. Und ich spare Platz und Gewicht...

    Donnerstag, 23. Feber Arles — Vauvert

Aufbruch

    Jean wird mich auf der ersten Etappe begleiten und so eine mittelalterliche Tradition fortführen: Die Pilger wurden in den ersten Tagen meistens von Freunden und Familienangehörigen begleitet, denn man wußte damals ja wirklich nicht, ob man sich jemals wiedersehen würde. Diesbezüglich bin ich optimistisch, aber es ist doch schön, gemeinsam mit einem guten Freund zu so einem Abenteuer aufzubrechen.
    Das Frühstück in Vauvert ist französisch-frugal (vermutlich reservieren die Franzosen schon am Morgen Platz in ihrem Magen für das, was zu Mittag und am Abend auf sie wartet...). Dann bringt uns Michou, Jeans Schwiegermutter, nach Arles. Es ist ein wunderschöner, klarer und kühler provençalischer Spätwintermorgen. Eigentlich ist es fast schon Frühling. In Arles, die Stadt erwacht gerade, trinken wir mit Michou noch einen Kaffee und besuchen die romanische Kirche St. Trophime, die erste Perle einer langen Kette, die mit der Kathedrale von Santiago de Compostela enden soll.
    Dann wird es ernst! Wir lassen die Stadt schnell hinter uns, und bald umgibt uns nur mehr die endlos scheinende Weite der Camargue. Wir bekommen auch tatsächlich die berühmten weißen Pferde und schwarzen Stiere zu sehen, Ajiz hat mehr Freude an den Möwen und Flamingos, die man so herrlich erschrecken kann.
    Zu zweit zu gehen ist fein, die kleine Landstraße gehört praktisch uns alleine, und wir können ungestört stundenlang philosophieren. Jean ist Südfranzose, wir haben vor Jahren gemeinsam in Montpellier studiert, und unsere Freundschaft hat sich über die Jahre hinweg erhalten. Er ist weder religiös noch ein überzeugter Wanderer, aber er ist ganz begeistert von dieser Art des Gehens, weil es so nicht-zielorientiert ist. 1600 Kilometer zu Fuß ist so unvorstellbar weit, daß man es sich beim täglichen Gehen unmöglich als Ziel vornehmen kann. Man geht einfach, Schritt für Schritt, macht sich über das Ziel keine besonderen Gedanken, und trotzdem — oder deshalb? — kommt man an. Hoffe ich jedenfalls. Ich erzähle Jean von den Pilgerherbergen in Spanien, die interessanterweise oft von Leuten aus anderen Ländern Europas betreut werden. So wurde mir jedenfalls berichtet. Ich habe da so meine Theorie dazu: Wer auf dem Jakobsweg geht, ist meistens eine Art Suchender. Das sind andere auch, aber gehend zu suchen, auf einem Weg, der Jahr für Jahr Tausenden zum Symbol ihrer Suche wird, und das seit über 1000 Jahren, das ist schon etwas Besonderes. Und welche Menschen suchen heute, am Ende des 20. Jahrhunderts? Doch meistens Leute, die unserer Zivilisation, so wie sie sich entwickelt hat, nicht mehr viel abgewinnen können oder wollen.
    Es gibt sicher auch religiös motivierte Pilger, aber das sind vielleicht gar nicht mehr so viele.
    Auf diesem ihrem Pilgerweg erleben die Suchenden etwas, das ihnen gefällt,
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