Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mr. Chartwell - Hunt, R: Mr. Chartwell

Mr. Chartwell - Hunt, R: Mr. Chartwell

Titel: Mr. Chartwell - Hunt, R: Mr. Chartwell
Autoren: Rebecca Hunt
Vom Netzwerk:
Chartwell lebhaft den Kopf, so dass die Zotteln an seinem Hals flogen und seine schlaffen Backen mit einem feuchten Klatschen ans Zahnfleisch schlugen. »Also dann, auf Wiedersehen«, sagte er und schloss die Tür hinter sich. Esther hörte, wie er sich auf alle viere plumpsen ließ. Dann kam das Klacken von Klauen auf Beton und gleich darauf das schwere Stampfen eines zielstrebig davoneilenden mächtigen Tieres.

4
    11 Uhr 37
    C hurchill stand draußen am tiefer gelegenen Teich. Von oben am terrassierten Gartenhang sah das Haus zu ihm herab. Die roten Ziegel des hohen, einsamen Ausguckpostens stachen scharf vom Dunkel des efeudurchwucherten Waldes ab, der dahinter herandrängte. Die friedliche Stimmung von Churchills Rasen- und Gartenflächen täuschte über den permanenten Kampf gegen die Versuche des mittelalterlichen Waldes hinweg, sie wieder in Besitz zu nehmen. Aus dem braunen, von Tierfährten durchkreuzten Laubteppich rückte eine Armee von Stämmen und Ästen geschlossen dagegen an. Gestürzte Eichen und Kiefern fuhren riesige Teller vielverschlungener und mit rostroter Erde verkrusteter Wurzeln auf, jugendliche Truppen schickten selleriefarbene Triebe aus.
    Churchill war am Teich, um ein Bild der Landschaft zu malen, was erforderte, dass er seinen formlosen Malerkittel und einen Sombrero trug. Ein Sortiment abgenutzter Pinsel und Gläser, Stifte und Farben lag um ihn herum im Gras. Er zog es vor, beim Malen zu stehen; es verschaffte ihm eine Bewegungsfreiheit, die das Sitzen nicht zuließ. Nicht dass diese Freiheit zu etwas gut gewesen wäre, denn er stand mit herabhängenden Armen regungslos vor der Staffelei. Die kleine Leinwand darauf war unberührt.
    Er murmelte einen Satz, den er schon oft benutzt hatte: »Glücklich sind die Maler, denn sie werden nicht einsam sein.« Im Augenblick kam es ihm absurd vor, denn er empfand es durchaus nicht so.
    ChurchillrunzeltedieStirn,dasKinnüberdenKragengeschoben.ImSchattendesSombrerosverfolgtenseineAugenzweischwarzeSchwäne,dieimWasserihreKreisezogen.InderErwartungvonBrotwarensiezuihmherangeschwommen,dieHälsegereckt,aberwiederabgezogen,alseskeinesgab.EinBlässhuhnstießimSchilfeinenspitzenSchreiaus.EinWindstoßfuhrineinealteWaldkieferamUfer,pfiffdurchdieNadelnundrisseinpaarjungeZapfenab.KräuselzogenüberdenTeichundverzerrtendasSpiegelbilddeswolkenlosenHimmels.ChurchillsGefährte,einbraunerPudel,derRufushieß,hattesichschonvoreinigerZeitzudenObstgärtenverzogen,wodieGesindehäuserwaren,vonirgendetwasverschreckt.Churchillwusste,wasihnvertriebenhatte.Unddawaresauchschon.
    Hinterrücks flüsterte es ihm beschwörend ins Ohr: »Du kannst dich nicht vor mir verstecken. Und du siehst zum Schießen aus in diesem Kittel. Wie eine alte Kröte.«
    Churchill antwortete nicht.
    »Kroak«, machte die Stimme. Sie prustete los und gackerte vor sich hin, dann machte sie abermals »Kroak«, diesmal mit ironisch drohendem Unterton.
    Die Schwäne verschwammen vor Churchills Augen. Diese Trübung des Blicks war eine unwillkürliche Reaktion, die ihm gar nicht passte. Er nahm den linken Daumen in die rechte Hand und drückte mit aller Kraft.
    »Du hast mit mir gerechnet«, sagte die herzlose Stimme. »Du hast auf mich gewartet, ich habe dich warten hören.«
    Churchill dachte an seine Sitzung am Nachmittag und hätte am liebsten die Zeit zusammenschnurren lassen, um der zermürbenden Stasis der Stunden bis dahin zu entkommen. Er dachte hartnäckig an die Sitzung und versuchte damit, die Stimme auszublenden.
    Sie meldete sich abermals, leiser und näher jetzt, so nahe, dass er den warmen Fleischfresseratem fühlte. »Wir wissen beide, warum ich hier bin.«
    »Hau ab, du lästiger Schweinehund«, sagte Churchill gallig.
    Der heiße Atem strich ihm über die Backe, über den Hals. » Wir haben eine Verabredung .«

5
    13 Uhr
    E sther verbarg sich hinter einer Bücherwand in Raum B, einem hohen holzverkleideten Lesezimmer in der Bibliothek des Unterhauses. Um sie herum waren die Regale mit vielen tausend Büchern gefüllt. Die Mitte der einen Längswand nahm ein breiter gemauerter Kamin mit einem schützenden Ziergitter ein. Draußen vor dem Fenster war London weiß, blassblau und laut. Hier drinnen nicht. Raum B war düster und asketisch, ein Dom der Gelehrsamkeit aus dunklem Holz, einem kräftig gemusterten Teppich und grünem Leder. Hier und da standen diskrete Leitern aus Eichenholz, ganz glänzend vom jahrelangen Gebrauch. Mit Heldenmut kraxelten die Angestellten zu den Büchern in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher