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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie
Autoren: Matt Beynon Rees
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nachsuchten.
    «Mein Bruder ist gestorben, möge Gott ihm ewige Ruhe gewähren.» Ich hielt ihm Constanzes Brief hin.
    «Für Sie war er gewiss schon lange gestorben.» Er warf einen Blick auf den Schokoladenfleck auf dem Papier und zog eine Augenbraue hoch. Er bemerkte die Missbilligung auf meinem Gesicht und räusperte sich. «Möge der liebe Gott seiner Seele gnädig sein, meine Liebe.» Seine Stimme war so dürr wie sein Körper unter dem grauen Samt des Morgenrocks.
    «Meine Schwägerin schreibt, er sei letzte Woche an einem Fieber gestorben.»
    «Ich werde natürlich für ihn beten.» Er wischte den Brief beiseite und schickte sich an, sich wieder seinen Papieren zuzuwenden.
    Gewohnt an Unterwürfigkeit, ging ich rückwärts zur Tür. Das Gesicht, das ich im Spiegel erblickt hatte, ließ mich jedoch innehalten.
    Ich musterte meinen Mann. Er hatte mich geheiratet, um jemanden zu haben, der sich um den Haushalt und seine fünf lästigen Kinder kümmerte. Als wir heirateten, machte mein Vater mir klar, dass dies meine letzte Chance war, dem einsamen Leben einer alten Jungfer zu entgehen. In sieben Jahren hatte ich Berchtold drei weitere Kinder geschenkt, doch hatte ich eins der Mädchen in jenem Frühjahr nach nur fünf Monaten wieder verloren. Ich wusste, dass seine Zurückhaltung die Reserve eines Mannes war, der keine Wärme aufbringen konnte, der sich davor fürchtete, mich zu lieben, weil er Angst hatte, dass ich ihm wieder genommen werden könnte wieseine beiden ersten Frauen. Mit seinen 55 war er fünfzehn Jahre älter als ich, betrachtete die Ehe jedoch als einen Ausdruck seiner Barmherzigkeit gegenüber einer alten Jungfer aus einer niedrigeren Gesellschaftsschicht. Liebe war nicht Teil des Geschäfts, das Papa und Berchtold gemacht hatten. Sogar meiner Jungfräulichkeit war ein pekuniärer Wert zugerechnet worden. Meine Mitgift wurde nach der Hochzeitsnacht um fünfhundert Florins erhöht, als Berchtold sich vergewissert hatte, mich intakt besessen zu haben.
    Er blickte auf und atmete verärgert und geräuschvoll durch die Nase ein, weil er mich immer noch vor sich sah. Er klopfte mit der Hand auf die vor ihm liegenden Dokumente, um zu signalisieren, dass er sich auf sie zu konzentrieren wünschte – vielleicht eine Zollerklärung für Eisen, das aus den Minen jenseits des Abersees nach Salzburg transportiert worden war, oder ein Haftbefehl gegen einen Hurenbock, der nebenan in die Folterkammer im Haus seines Assistenten geschafft werden sollte.
    Ich trat vor.
    Er richtete seine Perücke, und ich sah darunter die bläuliche Kahlheit seines Schädels.
    «Wolfgang glaubte, vergiftet worden zu sein», sagte ich.
    «Bestimmt nicht. Lächerlicher Mensch. Überempfindlich.»
    «Es hätte durchaus Intrigen gegen ihn geben können. So ist das in Wien nun mal.»
    «Madame, was wissen Sie schon von derlei Dingen?»
    «Ich habe nicht mein ganzes Leben in diesem Dorf verbracht, mein Herr. Ich weiß, wie es an Höfen und in Städten zugeht.» Dinge, die mein Mann, geboren im Dorf und erzogen im nahen Salzburg, eben nicht wusste.
    Ihm entging die Anspielung nicht, und seine Lippen verkrampften sich. «Lassen Sie eine Messe für ihn lesen, und Schluss damit.»
    «Ich möchte sein Grab besuchen.»
    Er pochte mit seinen knochigen Fingern auf den Schreibtisch. «Für eine solche Reise habe ich keine Zeit. Meine Arbeit hier ist dringlich.»
    Ich wusste, dass dies ein Vorwand war. Er schloss sich in seinem Arbeitszimmer nicht deshalb ein, weil er amtliche Papiere durchsehen musste, sondern in der Absicht, den Anforderungen des gesellschaftlichen Lebens und den damit einhergehenden Kosten zu entgehen.
    «Ich werde allein reisen», sagte ich.
    «Allein?» Überraschung vertrieb die demonstrative Starre aus seinem Gesicht. Diese Entschlossenheit war er nicht gewohnt. In sieben Ehejahren hatte ich nichts anderes als Ehrerbietung und keinesfalls Unabhängigkeit an den Tag gelegt – ein Verhalten, das mir wegen meiner Pflichten während der Witwerschaft meines Papas zur Gewohnheit geworden war.
    «Ich nehme Lenerl als Beistand mit», sagte ich.
    «Das ist eine Reise von fünf Tagen. Und teuer.» Er wirkte verwirrt, perplex und leicht verzweifelt, sodass ich mich zu fragen wagte, ob er, mit meiner Abreise konfrontiert, in Erwägung zog, mich möglicherweise vermissen zu können.
    «Ich trage die Kosten aus dem Nachlass meines Vaters. Ich werde Sie nicht damit belasten.»
    «Dergleichen haben Sie noch nie getan», stammelte er.
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