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Morgens 15.30 in Deutschland

Morgens 15.30 in Deutschland

Titel: Morgens 15.30 in Deutschland
Autoren: David Werker
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Hochschule – hier ist in der Regel der NC entscheidend, in Einzelfällen finden auch individuelle Prüfungsverfahren statt – gibt es die weitaus perfidere und sadistischere Studienplatzvergabe über die ZVS: die „Zentrale Vernichtungsstelle von Studententräumen“. Hier ist nur der NC entscheidend. Zwar kannst du Wünsche angeben, aber bevor die berücksichtigt werden, kannst du deinen Studienplatz auch gleich beim Universum bestellen! [6] Eine Bewerbung über die ZVS frustiert einen genauso wie die Anmeldung bei einem kostenpflichtigen Flirtportal: Hier werden dir Städte wie Berlin, München und Hamburg in Aussicht gestellt, dort Frauen wie Pamela Anderson, Angelina Jolie und Penélope Cruz versprochen – und am Ende sitzt du in Magdeburg mit dem Sänger von Tokio Hotel!
Wenn du da zu der kleinen Gruppe zählst, die schon ein Soziales Jahr in einem Krisengebiet absolviert hat, bist du auf den Kulturschock eindeutig besser vorbereitet als deine Kommilitonen. Allerdings gibt es bei dem, was ein einzelner Mensch städtebaulich verkraften kann, Grenzen! Man sollte sich erst gar keine Illusionen machen, von wegen: Wird schon nicht so schlimm sein! Man muss erst von der ZVS ans Ende dieser Republik geschickt werden, um zu glauben, dass es in der BRD heute noch Städte gibt, die aussehen, als seien die Russen gerade abgezogen. Mich haben mal in Siegen zwei fassungslose Austauschstudenten zur Seite genommen und erschüttert gefragt, was denn hier passiert sei. Und die beiden kamen aus Bagdad. Die zweite Frage, die sich anschließt, lautet:
Studieren, aber wann?
Blöde Frage! Natürlich ab 15:30 Uhr! Im Grunde richtig gedacht, nur ist 15:30 Uhr im Oktober 2011 nicht gleich 15:30 Uhr im Oktober 2211! Will sagen: Wer mit einem donnernden Paukenschlag von 3,6 die Schule abgeschlossen hat, der wartet auf seinen Studienplatz mitunter länger als der 1. FC Köln auf die Meisterschaft. Da ist ganz klar im Vorteil, wer noch einen Haufen Kettenmails weiterzuleiten hat, wer schon immer mal die „Herr-der-Ringe-Trilogie“ im Zeitlupenmodus angucken wollte, wer gerne der Tapete beim Vergilben zusieht oder wer sonst irgendwie sinnvoll die lächerlichen elf Wartesemesterchen totzuschlagen weiß!
An dieser Stelle schaltet sich gerne bzw. zwangsläufig Teil V des Faktors Eltern in die Diskussion ein – mit Sätzen wie: „Dann gehst du halt solange arbeiten! Hände, die zupacken können, werden immer gebraucht!“
Du erwiderst schockiert: „Ich will aber nicht auf den Bau, ich will was mit Medien machen!“
Teil V des Faktors Eltern brüllt: „Du willst was mit Medien machen? – Dann trag Zeitungen aus!!!“
Jetzt musst du handeln! Der ehrlichste, aufrichtigste und schnellste Weg zum Studienplatz ist: Photoshop öffnen und Zeugnis fälschen! Die meisten verzichten allerdings darauf – aus moralischen Gründen, aus Angst vor dem schlechten Gewissen und der strafrechtlichen Verfolgung oder einfach, weil ihre Kenntnisse in Photoshop nicht ausreichen. Zweite Möglichkeit: Du überdenkst deine Studienwahl. Das fühlt sich schon unangenehmer an, weil du hier eventuell zu deiner eigenen Selbstüberschätzung stehen musst. Trotzdem solltest du dich fragen: Ist Atomphysik wirklich das Richtige für mich? Muss es unbedingt Harvard sein? Oder sollte ich mich nicht auch noch in Yale bewerben – nur zur Sicherheit?! Dritte Möglichkeit: Reinklagen! Im juristischen Wirrwarr verliert man schnell den Überblick. Dabei ist es theoretisch und praktisch für jeden Abiturienten möglich und zulässig, das persönliche Recht auf ein frei wählbares Studium durchzusetzen! Hier der Originaltext: „Jede Person mit erworbener Hochschulzugangsberechtigung hat das Recht auf einen frei wählbaren Studienplatz, auf den Erwerb von Bildung und auf fünf Prozent Rabatt im Spaßbad!“ Auszug aus § 5 Abs. 2 der Grundordnung der Internationalen Studentenkommission OCB, Amtssitz Amsterdam. Grundsätzlich ist die Sache also klar!
Trotzdem: Man hat in der Regel nur einen Versuch! Und der muss sitzen! Reinklagen ist deshalb nur etwas für geradlinige Gemüter, die bereit sind, die Sache konsequent durchzuziehen, ohne dabei zwischendurch komplett den Dings, den ... äh ... den ... na, den ... hier – nicht Nadel, sondern ... äh ... den Garn! Nein, nicht Garn, den ... äh, nicht komplett den ... na, isses denn?! Den ... Da beißt die Maus keinen Dings ab, den ... na, verdammt, was beißt das Scheißvieh ab? Den ... richtig! Nicht den Faden zu verlieren,
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