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Morgens 15.30 in Deutschland

Morgens 15.30 in Deutschland

Titel: Morgens 15.30 in Deutschland
Autoren: David Werker
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Ganze würde bis in alle Ewigkeit so weitergehen. Bis die Abschlussfahrt kam, die schriftlichen Prüfungen, die mündlichen Prüfungen ... und dann die Nachprüfungen. Und plötzlich hältst du dein Abizeugnis in der Hand! Und auf einmal ist alles anders: Der Wecker klingelt, und du gehst nicht in die Schule! Gut, für viele ist das nicht wirklich was Neues – doch jetzt
musst
du es nicht mehr! Was ist da bloß los?
War es nicht erst gestern, dass wir alle mit kindlichem Gemüt umhertollten und nicht wussten, was wir taten? Doch, äh, das war gestern, und wir waren rappelvoll ... aber das ist eine andere Geschichte! War es nicht auch erst gestern, dass wir mit strahlenden Augen unsere Schultüte in der Hand hielten (erst die große mit den Geschenken drin, später dann die unwesentlich kleinere mit den Kräutern) und gestaunt haben über die Schule, die Lehrer und die kniffligen Additionsaufgaben, die über den Zehner drüber gingen ... Und jetzt soll das alles plötzlich nicht mehr sein? Vom einen auf den anderen Tag? Vergessen und vorbei? Jaha, so sieht es aus! Jetzt können wir tatsächlich tun und lassen, was wir wollen! Ein Leben lang, super! ... Nur, äh, was genau?
Natürlich ist es normal, dass einen die schier unendliche Auswahl an Berufen erst mal überfordert: Da stehst du nun und kommst dir vor wie ein Ossi ’91 auf dem Gemüsegroßmarkt! Die Macht der Gewohnheit sollte man nach 13 plus x Jahren Zuspätkommen, Unterrichtschwänzen und heimlichem Rauchen auf der Toilette keinesfalls unterschätzen! Gefangene, die eine lange Haftstrafe abgesessen haben, berichten häufig, sie könnten sich ein Leben außerhalb der Gefängnismauern gar nicht mehr vorstellen. Ähnlich ergeht es einem Viertel aller Abiturienten nach der Schule. Der nahe liegende Ausweg lautet: Ich studier auf Lehramt! Quasi das System mit den eigenen Waffen schlagen, so is es richtig!
Ganz klar: Drücken ist immer eine gute Möglichkeit – auch nach der Schule! Andere Abiturienten sind da furchtloser, nehmen das Ganze sportlich wie ein Sumoringer bei der Arschbombenweltmeisterschaft und rufen: „Ich springe jetzt einfach!“ Um nach der Schule nicht gleich ins kalte Wasser geworfen zu werden, hat der Staat aber zum Glück eine Pufferzone eingerichtet, in der sämtliches Wissen aus den 13 plus x Jahren auf einen Schlag weggesoffen wird: den Zivildienst! Wer den Dienst an der Windel nicht mit seinem Gewissen vereinen kann, dem bleibt die Verweigerung und der Wehrdienst. Man hat also die Wahl: Auf der einen Seite der harte Einsatz an der Front mit Schmutz, Dreck und menschlichem Elend – auf der anderen die neun Monate Party beim Bund.
Während sich die Jungs so, staatlich subventioniert, innerhalb weniger Monate auf die eine oder andere Weise alles aus der Birne brennen, was entfernt an Wissen erinnert (die drei biologischen Formeln, der berühmte Satz des Pythagoras: „Mathe is ein Arschloch!“, sowie sämmtliche Reschtchreibregäln), gewinnen die ohnehin reiferen Mädels ein weiteres Jahr Vorsprung und ziehen auf der bildungstechnischen Überholspur davon! Fairerweise muss man zugeben, dass sich heute mehr und mehr Frauen mit den Männern solidarisieren und selbstlos ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren! Mittlerweile können sie sogar in die Bundeswehr eintreten – vollkommen zu Recht, wie ich finde! Vorbei sind die schlimmen Zeiten, in denen Damen mit Gewehr und luftiger Tarnkleidung ausschließlich nachts durchs DSF robben durften! Pfui! Trotzdem: Die Jungs müssen, die Mädels dürfen müssen. Da wundert es einen nicht, dass viele junge Männer hinterher die Reißleine ziehen und beschließen, sich erst mal vom Zivistress bzw. Bundeswehrkater zu erholen ... weit, weit weg, irgendwo in Indien, Australien oder Österreich. Dort treffen sie dann auch häufig auf verschollen geglaubte Freunde, die schon früher alle Verbindungen nach Hause gekappt haben, um sich dem Zugriff des Kreiswehrersatzamts zu entziehen.
Falls dir die Musterung eventuell noch bevorstehen sollte, hier ein paar Tipps. Schließlich ist es die erste Prüfung in deinem Leben, die du nicht bestehen willst!
Um bei der Musterung durchzufallen, kannst du zum Beispiel: nicht nur husten, wenn du dazu aufgefordert wirst, sondern die ganze Zeit: husten! Du solltest so stark husten, dass du selber vom Husten anfangen musst zu husten, entschuldige dich und huste erst mal in Ruhe ab, stell dich dann wieder hin und krümm dich so sehr vor Husten, bis der Arzt die
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