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Mordwoche (German Edition)

Mordwoche (German Edition)

Titel: Mordwoche (German Edition)
Autoren: Sabine Wierlemann
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als ein Friseur aussah. Das Ambiente des Herrensalons war gediegen, die bequemen Ledersessel hatten Nackenstützen, um dem Mann von Welt auch eine Rasur in angenehmer Haltung zu ermöglichen. Die Pflegeprodukte verströmten eine herbe maskuline Note und gingen erst wenn man die drei Stufen in den hinteren Bereich des Salons hinabstieg in süßere Nuancen über. Das war Gerdas Arbeitsplatz, die Damenabteilung.
     
    Als Kundin konnte man wählen, ob man sich lieber auf einem der Plätze niederließ, die in einer langen Reihe nebeneinander angeordnet waren und damit dem Gespräch mit den Sitznachbarinnen eine Chance gab oder ob man es vorzog, sich dem Schönheitsritual in einem der Separees hinzugeben. Diese Kabinen lagen an der gegenüberliegenden Seite der Wand und boten nach links und rechts einen Sichtschutz aus Holz. Meist waren es die älteren Damen, die sich mit der Friseurin ihres Vertrauens hierher zurückzogen. Vielleicht war das ihr kleiner Hauch von Exklusivität, den sie so in ihren Kleinstadt-Alltag brachten. Ganz allein war man aber auch hier nicht. Über die Spiegel konnte man auch aus dem Separee heraus das Geschehen im Salon und die restlichen Kundinnen im Blick behalten.
     
    So, jetzt noch schnell die Brötchen holen, damit Otto zu seinem Frühstück kommt, dachte sich Gerda König und zog ihren Mantel an. Den Vorraum des Friseur-Geschäfts hatten Gerda und Otto als kleines Familienmuseum gestaltet. Sie waren stolz auf ihren Salon und die lange Friseur-Tradition ihrer Familie. Und so erwies Gerda auch heute den „Königen“ der vorangegangenen Generationen im Hinausgehen ihre Referenz. König Otto I. bis König Otto IV. schauten milde lächelnd auf ihr Vermächtnis und wachten darüber, dass ihr „Reich“ in ihrem Sinne weiterregiert wurde. So stellte es sich Gerda König jedenfalls oft vor. Mit einem angedeuteten Hofknicks grüßte sie die königliche Verwandtschaft und schloss die Eingangstür auf. Klirrende Kälte biss ihr sofort ins Gesicht. Es hatte letzte Nacht geschneit. Nach dem Brötchenholen würde ihr nichts anders übrig blieben, als noch zur Schneeschaufel zu greifen. Vorsichtig stieg Gerda König die Stufen hinab, man musste in diesen Breitengraden schließlich immer auch mit Eis rechnen. Nicht umsonst nannten die Leute die Gegend hier Schwäbisch Sibirien .
     
    Das ging jetzt zu weit! Hatte doch einfach jemand sein Auto mitten auf dem Privatparkplatz des Salons abgestellt. Der rote VW-Käfer war unter einer dicken Schneeschicht begraben. Es sah also nicht so aus, als ob der Besitzer nur mal eben zum Bäcker reingegangen wäre. So was Ärgerliches, murmelte Gerda König und bog aber erst einmal um die Ecke, um die Brötchen zu holen. Vielleicht kam der Besitzer in der Zwischenzeit und fuhr weg. Bei ihren drei Parkplätzen vor dem Haus verstand die Chefin keinen Spaß. Die mussten frei bleiben, schließlich waren viele Kundinnen nicht mehr so gut auf den Beinen und schafften es gerade noch, ihre großen und in die Jahre gekommenen Limousinen etwas windschief in die Parklücke vor dem Salon zu bugsieren, um sich dann das ergraute Haar frisieren zu lassen.
     
    Gerdas Brillengläser beschlugen, als sie die hell erleuchtete und warme Bäckerei betrat. Der Duft von frischem Brot stieg ihr in die Nase und sie wartete, bis sie an der Reihe war. Beim Bäcker traf sich jeden Morgen die gleiche eingeschworene Gemeinde der Frühaufsteher, mit Gerda König hätte heute allerdings keiner hier gerechnet. „Grüß Gott, Frau König, warum sind Sie denn schon so früh auf den Beinen? Heute ist doch Montag.“ Die Chefin der Bäckerei bediente Gerda heute persönlich und packte bereits die beiden Laugenbrötchen in eine Tüte. Eine Bestellung war hier nicht nötig, sie wusste, warum die Friseurin hier war. „Wir haben heute ausnahmsweise auf, wegen morgen. Sonst wird es einfach zu viel. Vor den Feiertagen wollen doch alle Leute noch einen neuen Kopf.“ „Gell, wenn man uns nicht hätte“, lachte die Bäckerin und begrüßte schon den nächsten Kunden.
     
    Der Käfer stand immer noch da. Eine allerletzte Chance gab Gerda dem Besitzer noch. Sie stieg die Treppen hinauf und legte ihrem Mann die Brötchentüte auf den Küchentisch. Er musste in der Zwischenzeit aufgestanden sein, denn aus dem Bad hörte sie die Dusche laufen und ihr Mann sang. Na, wenigstens scheint er keinen Kater von seinem Herrenabend gestern mitgebracht zu haben, dachte Gerda. Sie nahm ihre Brille ab und streckte kurz den
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