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Mordsee

Mordsee

Titel: Mordsee
Autoren: Reinhard Pelte
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und schmeckte der fruchtigen Säure hinterher. Dann war er so weit. Wie erwartet, läutete das Handy pünktlich.
    »Jung.«
    »Mann, was ist denn da los bei Ihnen?«
    Holtgreves Aggressivität war unangebracht. Es ging ihn nichts an, was seine Untergebenen in ihrer Freizeit machten.
    »Was kann ich für Sie tun?«, überhörte er Holtgreves Frage.
    »Der Polizeipräsident hat mich angerufen.« Holtgreve machte eine Pause. Alles andere wäre wirklich eine faustdicke Überraschung gewesen, dachte Jung.
    »Er will Sie unverzüglich sehen. Er hat Sie ins Innenministerium nach Kiel einbestellt.«
    Jung kannte seinen Chef seit vielen Jahren, aber an seine Sprache hatte er sich nie gewöhnen können. Sie fiel ihm auf die Nerven.
    »Was will er von mir?«
    »Es geht um die ertrunkene Kadettin vom Segelschulschiff der Marine. Sie haben davon gehört?«
    »Ja, ich habe davon gelesen. Aber ist der Fall nicht längst untersucht und das Verfahren eingestellt worden?«
    »Das ist ja das Problem. Die Staatsanwaltschaft in Hannover ist in der Sache tätig geworden. Sie ist aber nicht zuständig. Der Heimathafen des Schiffes ist Kiel. Also muss die Staatsanwaltschaft in Kiel noch einmal ran.«
    »Und was soll ich dabei?«
    »Der Präsident wünscht keine Pannen mehr. Er will einen Experten auf dem Schiff und hat sich an Sie erinnert. Sie haben doch bei der Marine eine Wehrübung gemacht.«
    »Und jetzt soll ich wieder dahin. Allein?«
    »Der Generalstaatsanwalt hat angeordnet, seine SOKO einzusetzen. Sie, Jung, begleiten sie als Berater.«
    Jung zuckte zusammen. Die SOKO des Generalstaatsanwaltes bestand aus zwei Staatsanwälten. Bei der Polizei waren sie bekannt als ›die Kettenhunde‹. Hinter vorgehaltener Hand war auch gern von Herrn Vulgär und Frau Dümmling die Rede.
    »Gut.« Jung hatte sich gefangen. »Ich wohne in Eltville, Ortsteil Erbach. Schicken Sie mir ein Fax. Die Nummer können Sie in meinem Urlaubsantrag finden. Ich bin momentan unterwegs. Aber in einer Stunde kann ich aufbrechen.«
    »Was? Wieso ein Fax? Was wollen Sie?«
    »Ich brauche Ihre Anweisungen schriftlich. Das lernen wir doch schon als junge Beamte auf Probe, Herr Holtgreve. Ich brauche ein Papier, um meine Unkosten erstattet zu kriegen. Die Nummer können Sie dem Urlaubsantrag entnehmen«, erklärte ihm Jung noch einmal.
    »Ja, ja, natürlich, Eltville … «
    »Genau. Also, ich mach mich schon mal auf den Weg. Sobald Ihr Fax vorliegt, bin ich auf dem Sprung nach Flensburg. Sie können sich auf mich verlassen. Bis dann.«
    Jung drückte die rote Unterbrechertaste. Er grinste und wartete anstandshalber auf einen möglichen Rückruf. Aber nur kurz. Jung war sich seiner Sache sicher. Holtgreve steckte in der Klemme. Der Gehorsam, den er seinen Vorgesetzten schuldig zu sein glaubte, und seine Eigenverantwortlichkeit kamen sich ins Gehege. Er würde sich nicht entscheiden, sondern die Angelegenheit aussitzen. Der Schwebezustand würde nicht lange dauern. In wenigen Tagen musste Jung wieder an seinem Schreibtisch auf Norderhofenden sein.
    Ich tue Gutes, lobte Jung sich selbst. Ich vermeide Kosten, gebe nicht den neurotischen Überspanntheiten meines Chefs nach und rette meinen Urlaub. Ihn erfüllte Genugtuung. Er bezahlte seine Rechnung und spazierte am Rhein entlang nach Erbach. Es wunderte ihn nicht, dass im Draiserhof kein Fax für ihn eingetroffen war.

Lange davor
     
    Es war ruhig. Jetzt, um die Mittagszeit, war nur die stehende Wache an Oberdeck. Die Matrosen dösten auf den Backskisten, lümmelten auf dem Mitteldeck, einige lehnten am Schanzkleid oder den Nagelbänken. Zum Glück gab es in dieser Crew keine Frauen, dachte er erleichtert. Erst ein lauter Befehl des Wachoffiziers, der achtern im Steuerbordwachstand auf seinem Holzbrett kniete und die Segelstellung beobachtete, würde die Kadetten aus ihrer Lethargie aufscheuchen, sie in die Wanten jagen und an die Schoten, Halsen, Fallen, Brassen und Niederholer. Die wachfreie Mannschaft blieb bei diesem Wetter unter Deck. Das Schiff segelte unter tiefen Wolken und mit einem steifen, achterlichen Wind querab Quessant im Eingang zum englischen Kanal.
    Er mochte die Stunde nach dem Mittagessen. Nach dem Abbacken in der Offiziersmesse hatte er frei. Er verholte sich dann, so oft er konnte, auf das Achterdeck hinter das Kartenhaus und warf die Angel aus. Die Bank am Klavier hatte er für sich allein. Es war unnatürlich ruhig. Der enorme Druck auf die Segel stabilisierte das Schiff in der kabbeligen See.
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