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Mord in h-moll

Mord in h-moll

Titel: Mord in h-moll
Autoren: Alexander Borell
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mein beschämtes Schweigen offenbar anders.
    »Ich wollte Sie nicht kränken«, sagte er, und seine sonst so fade, unpersönliche Stimme klang auf einmal ganz milde. »Aber als Leiter einer Filiale müssen Sie auch in gewissem Sinne repräsentieren. Ich schätze ja Sparsamkeit sehr, nur durch Sparsamkeit bringt man es zu etwas, aber man darf das auch nicht übertreiben. Und so, wie ich Sie kenne, haben Sie in all den Jahren ein ganz hübsches Sümmchen auf die Bank geschafft, nicht wahr?«
    Ich schluckte und brachte kein Wort heraus. Meine Hände krampften sich zusammen. Hilda, dachte ich voller Wut, Hilda.
    Er stand auf.
    »Nichts für ungut, Roeder. Sie sind doch verheiratet?«
    »Jawohl, Herr Holsten.«
    »Ich nicht. Meistens verputzen die Frauen alles Geld, was ein Mann verdient. Aber bei Ihnen ist das ja anders, das sieht man, Ihre Frau hält wohl alles ganz schön zusammen. Also, wie gesagt, am 1. November fangen Sie an.«
    Er reichte mir sogar seine knöcherne Hand, dann war ich entlassen.
    Vor seiner Tür blieb ich stehen. In meinem Schädel brummte alles wirr durcheinander. Filialleiter! Selbständig arbeiten dürfen! Eine neue Wohnung.
    Und dann dachte ich wieder an Hilda. Auch in einer neuen Wohnung würde sie in der Badewanne singen, sich und mich vor dem ganzen Hause lächerlich machen. Und ich würde wieder nichts von meiner Arbeit haben, nur Hilda würde noch mehr Geld ausgeben können.
    Ich ging wie im Traum den Korridor zurück. Und plötzlich stand ich, ohne es gewollt zu haben, vor der Tür zur Hauptbuchhaltung. Karin Uhlmann würde mit nach Stuttgart kommen. Ich trat ein.
    Sie saß an der breiten Buchungsmaschine und blickte erst auf, als ich mich räusperte.
    »Ach, Sie sind’s, Herr Roeder! Waren Sie beim Chef?«
    Sie war fünf oder sechs Jahre jünger als ich, und sie war schon da gewesen, als ich in die Firma eintrat. Ihre gutmütige Art, die vielen rundlichen Frauen eigen ist, hatte mir immer gut getan. Hübsch war sie nicht, und elegant erst recht nicht. Aber als ich ihr einmal sagte, sie solle sich wenigstens eine nettere Brille kaufen, hatte sie es gleich getan. Wir waren gute Kollegen.
    »Ja«, sagte ich. »Ich war beim Chef. Dann gehen wir also zusammen nach Stuttgart.«
    In diesem Augenblick fiel mir ein, wie wenig ich von ihr wußte. Wo wohnte sie? Hatte sie einen Freund? Warum war sie eigentlich nicht schon längst verheiratet?
    Sie stand auf. Sie war kleiner als Hilda, sogar eine Spur kleiner als ich.
    »Freuen Sie sich?« fragte sie. Ihre braunen Augen waren forschend auf mich gerichtet.
    »Und wie«, sagte ich. Wer nun wohl meine Kasse übernehmen würde? Drei Wochen Zeit blieben mir, den Fehlbetrag zu ersetzen. Oder nicht einmal drei Wochen, denn womöglich würde Herr Holsten schon früher einen Ersatz für mich haben, den ich dann noch einarbeiten mußte. Vierzehn Tage vielleicht. Oder nur acht Tage.
    »Ich gehe gern mit Ihnen«, hörte ich Karin Uhlmann sagen.
    »Ich mit Ihnen auch«, gab ich matt zurück.
    »Der Chef meinte, wir sollten schon Ende nächster Woche einmal hinfahren, zur Information. Und um eine Wohnung zu suchen. Für mich wird das ja leichter sein.«
    »Wieso?«
    »Weil ich nur ein möbliertes Zimmer brauche.«
    »Ach so.«
    Ein möbliertes Zimmer, in dem man ganz allein wohnte. Ich beneidete Karin Uhlmann darum.
    Sie deutete auf meine Jacke.
    »Ziehen Sie sie aus«, sagte sie. »Da fehlt ein Knopf.« Und hastig, als habe sie schon zuviel gesagt, fügte sie hinzu: »Der ist sicher gerade vorhin abgerissen.«
    »Ja, vorhin«, sagte ich. Ich hatte ihn schon gestern abend annähen wollen, es aber dann vergessen, weil ich eine Tonbandaufnahme machte: die vierte Sinfonie von Brahms, gespielt vom NBC-Orchester New York unter Toscanini.
    Sie nahm mir die Jacke ab. Weiß Gott, woher sie den Knopf hatte, der noch dazu einigermaßen paßte. Jedenfalls hatte sie ihn und nähte ihn an.
    »Vielen Dank«, sagte ich.
    Dann ging ich wieder an meine Kasse, in der dreitausend Mark fehlten. Ich mußte sie so rasch wie möglich beschaffen. Ich mußte mit den Unterlagen unserer Erbschaft versuchen, die Summe kreditiert zu bekommen.
    Als ich heimkam, war Hilda noch nicht da. Sie war meistens nicht da, wenn ich heimkam. Sie hatte viele Freundinnen, die sie der Reihe nach besuchte, und um einem Gezänk von vornherein aus dem Wege zu gehen, kümmerte ich mich meistens um das Abendessen.
    Als ich mir gerade die Küchenschürze umgebunden hatte, erschien Hilda.
    Das modische
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