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Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman

Titel: Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
Autoren: Cay Rademacher
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den er sich schon vor Wochen zurechtgelegt hatte.
    Er schritt mit neuer Kraft voran. Bald kam Kenherchepeschef zu der Ansammlung elender Hütten aus Lehmziegeln und Palmwedeln, in denen die Arbeiter die Nächte der Woche verbrachten, weil es zu anstrengend war, nach einem langen Tag noch bis ins Dorf zurückzukehren. Am Wochenende sollte der Ort verlassen sein, doch Kenherchepeschef wusste, dass sich manchmal Liebespaare heimlich hierhin schlichen, um sich ungestört aneinander zu erfreuen. Also duckte er sich hinter einem fast mannshohen Felsbrocken und lauschte, bevor er die stillen Hütten in einem Bogen umging. Jetzt war er fast an seinem Ziel: Der Pfad führte hinab zum Tal der toten Pharaonen von Set-Maat, dem Ort der Wahrheit.
    Es war ein wildes, zerklüftetes, vielfach von Seitenschluchten zerrissenes Tal, in dem keine Sykomore Schatten spendete, kein Strauch, nicht einmal ein Grashalm wuchs – ein Tal des Todes. Seit rund dreihundert Jahren hatten alle Pharaonen diesen Ort für ihr Grab erwählt. Hier lagen sie, umgeben von ihren Schätzen, die Wände geschmückt mit den Beschwörungen aus dem Totenbuch, in majestätischer, ewiger Ruhe; von hier gingen sie in das Reich des Westens, um sich mit dem Sonnengott Amun-Re zu vereinigen und ihn zu begleiten auf seiner unendlichen Reise durch die Unterwelt. Ihre Todeshäuser lagen viele hundert Schritt tief in den Klippen an den Flanken des Tals, die Zugänge versteckt in Felsenrissen oder sorgfältig verborgen unter Geröll und Sand.
    Es waren die Männer des Dorfes Set-Maat, die den Ehrentitel »Diener am Ort der Wahrheit« trugen. Sie waren es, welche die Gräber der Pharaonen in die Felsen schlugen, welche die Wände glätteten, mit Reliefs und bunten Hieroglyphen verzierten, welche die Pforten für immer verschlossen, wenn die Mumie des Herrschers in dem granitenen Sarkophag ruhte – und welche die Spuren ihrer jahrelangen Arbeit sorgfältig verwischten, damit kein Unbefugter je den Schlaf der Pharaonen stören konnte.
    Und Kenherchepeschef war Erster Schreiber am Ort der Wahrheit, der Vorsteher des Dorfes, der, der den Arbeitern Werkzeuge und Farben, Lampen und Öl gab; der aufschrieb, wer arbeitete und wer fehlte; der dem Tschati in Theben berichtete, welche Fortschritte sie gemacht hatten; der mit dem Tschati und den Baumeistern des Pharaos festlegte, wo ein neues Grab in die Felsen zu treiben sei, wenn die Zeit dafür reif war.
    Kenherchepeschef war der einzige Mann im Lande Kemet, der die geheime Lage aller Gräber kannte, der wusste, welches senkrecht wie ein Sonnenstrahl und welches gekrümmt wie ein Schneckenhaus in den Felsen getrieben worden war, welcher Zugang unter Geröll am Talboden versteckt wurde und welcher hoch oben an den Flanken der Klippen lag. Er kannte die Geheimnisse der toten Pharaonen am Ort der Wahrheit und die der in alle Ewigkeit schlafenden Königinnen und Prinzen am Ort der Schönheit weiter im Süden und auch all der Tschatis, Hohepriester und der anderen Reichen aus Theben, die sich die Felsen in der Nähe der Herrscher für ihre Ruhestätten gewählt hatten. Denn ob es der Pharao selbst war, eine seiner Frauen, ein ehrwürdiger Priester des Amun, ein verdienter General oder einfach nur ein reicher Händler, der sich mit Gold seinen letzten Ehrenplatz erkauft hatte – es waren stets die Diener am Ort der Wahrheit, die einen Felsen in ein Grab verwandelten. Und keine letzte Ruhestätte konnte ohne Wissen Kenherchepeschefs geschaffen werden.
    Jetzt war die Zeit gekommen, dieses Wissen, das er in Jahrzehnten von den Toten erworben hatte, in der Welt der Lebenden zum eigenen Vorteil zu nutzen.
    Eine kleine Festung der Medjai lag dort, wo sich der Pfad zum Tal der toten Pharaonen hinabwand, kaum mehr als ein Haus mit verstärkten Ziegelwänden, umgeben von einer niedrigen Mauer. Die Medjai waren wilde Söldner aus Nubien und Libyen mit barbarischen Riten und seltsamer Tracht, die nicht an die Götter des Landes Kemet glaubten, sondern nur ihre eigenen Geister verehrten. Sie jagten entlaufene Sklaven, verprügelten Bauern, die Steuern schuldig geblieben waren, und bestraften auch sonst alle, die die Gesetze des Pharaos missachteten – und sie bewachten die Gräber der Herrscher. Doch Kenherchepeschef ging sorglos an ihrer Festung vorbei, denn er wusste, dass die Gewalt der Medjai zugleich ihre größte Schwäche war: Jeder Krieger dieser Truppe hatte schon mehr als einmal Blut vergossen. Und auch wenn es nur untreue Sklaven und
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