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Mord im Orientexpress

Mord im Orientexpress

Titel: Mord im Orientexpress
Autoren: Agatha Christie
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que vous avez un e r reur.»
    «Sind Sie Mr. Harris?», fragte Poirot auf Englisch zurück.
    «Nein, mein Name ist MacQueen. Ich –»
    Im selben Moment sprach jedoch der Schlafwagenschaffner über Poirots Schulter hinweg – bedauernd und ein wenig atemlos:
    «Es gibt keine anderen Schlafplätze mehr im Zug, Monsieur. Dieser Herr muss zu Ihnen hinein.»
    Mit diesen Worten öffnete er das Korridorfenster und begann Poirots Gepäck hereinzuwuchten.
    Poirot nahm das Bedauernde in seinem Ton mit einer gewissen Belustigung zur Kenntnis. Zweifellos war dem Mann ein gutes Trinkgeld in Aussicht gestellt worden, wenn er es schaffte, dieses Abteil für den anderen zur alleinigen Verfügung zu halten. Aber auch das fürstlichste Trinkgeld verliert seine Wirkung, wenn ein Direktor der Internationalen Schlafwagengesellschaft im Zug sitzt und Befehle erteilt.
    Der Schlafwagenschaffner kam aus dem Abteil, nachdem er die Koffer ins Gepäcknetz befördert hatte.
    «Voilà, Monsieur», sagte er. «Alles fertig. Sie haben das obere Bett, Nummer sieben. In einer Minute fahren wir ab.»
    Er eilte über den Gang davon. Poirot betrat wieder das Schlafwagenabteil.
    «Ein selten zu beobachtendes Phänomen», meinte er vergnügt. «Dass ein Schlafwagenschaffner eigenhändig das Gepäck verstaut. Das hat es ja noch nie gegeben!»
    Sein Mitreisender lächelte. Offenbar hatte er seinen Ärger überwunden – wahrscheinlich eingesehen, dass es keinen Sinn hatte, die Sache anders als mit philosophischer Gelassenheit hinzunehmen.
    «Der Zug ist ungewöhnlich voll», bemerkte er.
    Ein Pfiff ertönte, dann gab die Lokomotive einen lang gezogenen, wehklagenden Schrei von sich. Beide Männer traten auf den Gang hinaus.
    «En voiture!», rief draußen eine Stimme.
    «Jetzt fahren wir», sagte MacQueen.
    Aber sie fuhren noch nicht. Wieder ertönte ein Pfiff.
    «Hören Sie», sagte der junge Mann plötzlich, «wenn Sie lieber das untere Bett hätten – bequemer und so – also, mir soll es recht sein.»
    «Nicht doch», protestierte Poirot. «Ich würde es Ihnen nie zumuten –»
    «Es macht mir wirklich nichts –»
    «Zu liebenswürdig –»
    Höfliche Beteuerungen auf beiden Seiten.
    «Es ist ja nur für eine Nacht», erklärte Poirot. «In Belgrad –»
    «Ah, Sie steigen in Belgrad wieder aus –»
    «Das nicht. Aber sehen Sie –»
    Plötzlich gab es einen Ruck. Beide Männer drehten sich rasch zum Fenster um und sahen den langen, erhellten Bahnsteig langsam vorbeiziehen.
    Der Orientexpress hatte seine Dreitagereise quer durch Europa angetreten.

Drittes Kapitel

Poirot lehnt einen Auftrag ab
     
    M onsieur Hercule Poirot kam am nächsten Mittag etwas verspätet in den Speisewagen. Er war früh aufgestanden, hatte fast allein gefrühstückt und dann den Vormittag damit verbracht, die Notizen zu dem Fall durchzulesen, der ihn nach London zurückrief. Von seinem Abteilgefährten hatte er noch wenig zu sehen bekommen.
    Monsieur Bouc, der bereits Platz genommen hatte, winkte seinem Freund zur Begrüßung zu und bot ihm den freien Platz ihm gegenüber an. Poirot setzte sich und sah sich bald in der privilegierten Situation, an einem Tisch zu sitzen, der nicht nur immer zuerst bedient wurde, sondern von allem auch die besten Stücke bekam. Zudem war das Essen ungemein gut.
    Erst bei einem delikaten Frischkäse gestattete Monsieur Bouc es seinen Gedanken, sich von der Nahrungsaufnahme ab- und etwas anderem zuzuwenden. Er hatte jenes Stadium der Mahlzeit erreicht, in dem der Mensch philosophisch wird.
    «Ach», seufzte er. «Hätte ich nur Balzacs Feder, wie gern würde ich diese Szene beschreiben.»
    Er zeigte in die Runde.
    «Keine schlechte Idee», sagte Poirot.
    «Ah, Sie finden das auch? Das hat noch niemand gemacht, glaube ich. Und doch, mein Freund – es bietet sich als Romanstoff geradezu an. Um uns herum sitzen Menschen aller Schichten, aller Nationalitäten, jeden Alters. Für drei Tage bilden diese Menschen, lauter Fremde füreinander, eine Gemeinschaft. Sie schlafen und essen unter einem Dach, sie können sich nicht aus dem Weg gehen. Und nach den drei Tagen trennen sie sich wieder, jeder geht seine eigenen Wege, und sie werden sich vielleicht nie wieder sehen.»
    «Dennoch», meinte Poirot, «nehmen wir einmal an, ein Unglück –»
    «Nicht doch, mein Lieber –»
    «Aus Ihrer Sicht wäre das gewiss bedauerlich, zugegeben. Nehmen wir es trotzdem einmal an. Dann wären alle diese Menschen für immer miteinander verbunden – durch den
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