Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord im Orientexpress

Mord im Orientexpress

Titel: Mord im Orientexpress
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
acht.
    «Habe ich noch Zeit zum Essen?»
    «Gewiss, Monsieur.»
    Der kleine Belgier nickte. Er ging wieder zum Empfang, um seine Zimmerbestellung zu annullieren, und begab sich dann ins Restaurant.
    Gerade bestellte er beim Kellner sein Essen, als eine Hand sich auf seine Schulter legte.
    «Ah, mon vieux! Ist das eine unverhoffte Freude», sagte eine Stimme hinter ihm.
    Der Sprecher war ein kleiner, untersetzter älterer Herr mit Bürstenhaarschnitt. In seinem Gesicht stand ein erfreutes Lächeln.
    Poirot sprang auf.
    «Monsieur Bouc!»
    «Monsieur Poirot!»
    Monsieur Bouc war Belgier und gehörte zum Direktorium der Compagnie internationale des wagons-lits. Seine Bekanntschaft mit dem ehemaligen Star der belgischen Polizei reichte viele Jahre zurück.
    «Sie sind aber fern der Heimat, mon cher», sagte Monsieur Bouc.
    «Eine kleine Geschichte in Syrien.»
    «Ah, und nach Hause geht es wieder – wann?»
    «Heute Abend.»
    «Ausgezeichnet! Ich nämlich auch. Das heißt, ich fahre bis Lausanne mit, wo ich zu tun habe. Sie nehmen den Simplon-Orient, nehme ich an?»
    «Ja. Ich habe schon darum gebeten, mir einen Schlafwagenplatz zu besorgen. Eigentlich hatte ich ja ein paar Tage hier bleiben wollen, aber nun habe ich gerade ein Telegramm erhalten, das mich in einer wichtigen Angelegenheit nach England zurückruft.»
    «Ach ja», seufzte Monsieur Bouc. «Les affaires – les affaires! Aber – Sie sind ja inzwischen ein ganz großer Mann, mon vieux.»
    «Ich hatte vielleicht den einen oder anderen kleinen Erfolg zu verzeichnen.» Hercule Poirot versuchte bescheiden dreinzublicken, was ihm gründlich misslang.
    Monsieur Bouc lachte.
    «Wir sehen uns später», sagte er.
    Hercule Poirot widmete sich der schwierigen Aufgabe, seinen Schnurrbart aus der Suppe zu halten.
    Nachdem das geschafft war, blickte er sich, während er auf den nächsten Gang wartete, im Restaurant um. Es war nur ein rundes halbes Dutzend Leute da, und von diesem halben Dutzend interessierte sich Hercule Poirot nur für zwei.
    Diese zwei saßen an einem nicht weit entfernten Tisch. Der Jüngere war ein durchaus liebenswert aussehender Mann um die dreißig, eindeutig Amerikaner. Aber nicht ihm galt die Aufmerksamkeit des kleinen Detektivs, sondern seinem Gefährten.
    Dieser Mann mochte zwischen sechzig und siebzig sein. Von weitem hatte er das freundliche Gesicht eines Philanthropen. Sein schütteres Haar, die gewölbte Stirn, der lächelnde Mund, der ein sehr weißes falsches Gebiss entblößte, das alles deutete auf Gutmütigkeit hin. Nur die Augen straften diesen Eindruck Lügen. Sie waren klein, saßen tief in den Höhlen und wirkten verschlagen. Nicht genug damit: Als der Mann einmal etwas zu seinem Begleiter sagte und sich dabei im Raum umsah, blieb sein Blick ganz kurz an Poirot hängen, und nur für die Dauer dieser einen Sekunde blitzte eine sonderbare Bösartigkeit darin auf, etwas unnatürlich Gespanntes.
    Dann erhob er sich.
    «Bezahlen Sie die Rechnung, Hector», sagte er.
    Seine Stimme klang ein wenig heiser. Und sie hatte einen ungewöhnlich sanften, gefährlichen Unterton.
    Als Poirot sich mit seinem Freund wieder in der Hotelhalle traf, waren die beiden Männer drauf und dran das Hotel zu verlassen. Ihr Gepäck wurde heruntergebracht. Der Jüngere überwachte diesen Vorgang. Gleich darauf öffnete er die Glastür und sagte: «Wir wären so weit, Mr. Ratchett.»
    Der Altere grunzte etwas und ging hinaus.
    «Eh bien», sagte Poirot. «Was halten Sie von diesen beiden?»
    «Amerikaner», sagte Monsieur Bouc.
    «Auf jeden Fall sind es Amerikaner. Aber ich meinte, was haben Sie für einen Eindruck von ihnen?»
    «Der junge Mann erschien mir recht angenehm.»
    «Und der andere?»
    «Um ehrlich zu sein, mein Freund, er gefiel mir nicht. Er wirkte auf mich irgendwie unangenehm. Und auf Sie?»
    Hercule Poirot ließ sich mit der Antwort etwas Zeit.
    «Als er im Restaurant an mir vorbeiging», sagte er endlich, «hatte ich ein eigenartiges Gefühl. Als wäre ein wildes Tier – ein grausames wildes Tier, wenn Sie verstehen – an mir vorbeigegangen.»
    «Dabei macht er doch einen durch und durch gediegenen Eindruck.»
    «Précisément! Der Körper – der Käfig – alles gediegen – doch durch die Gitterstäbe blickt das wilde Tier heraus.»
    «Sie haben eine lebhafte Phantasie, mon vieux», meinte Monsieur Bouc.
    «Mag sein. Aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass mir das Böse begegnet war.»
    «Dieser gediegene amerikanische
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher