Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord im Orientexpress

Mord im Orientexpress

Titel: Mord im Orientexpress
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
Füße zu vertreten.
    Monsieur Poirot begnügte sich damit, dem Treiben auf dem Bahnsteig durchs Fenster zuzusehen. Nach etwa zehn Minuten fand er aber, dass ein bisschen frische Luft auch ihm vielleicht nicht schaden könnte. Er traf dazu gewissenhafte Vorbereitungen, zog mehrere Mäntel und Schals übereinander an und hüllte seine schmucken Stiefel in Überschuhe. So gerüstet, stieg er vorsichtig auf den Bahnsteig hinunter und begann ihn abzuschreiten. Er ging ganz nach vorn, noch an der Lokomotive vorbei.
    Erst die Stimmen machten ihn auf die beiden undeutlichen Gestalten aufmerksam, die im Schatten eines Gepäckwagens standen. Arbuthnot sprach soeben.
    «Mary –»
    Die Frau unterbrach ihn.
    «Nicht jetzt. Nicht jetzt. Erst wenn alles vorbei ist. Wenn wir es hinter uns haben – dann –»
    Monsieur Poirot wandte sich diskret ab. Er machte sich seine Gedanken.
    Er hatte Mary Debenhams sonst so kühle, selbstsichere Stimme kaum wiedererkannt…
    «Sonderbar», sagte er bei sich.
    Am nächsten Tag fragte er sich, ob die beiden sich vielleicht gestritten hatten. Sie sprachen kaum miteinander. Die Frau wirkte nervös. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen.
    Am Nachmittag gegen halb drei hielt der Zug plötzlich an. Leute steckten die Köpfe aus den Fenstern. Neben dem Gleis stand ein Grüppchen von Männern, die auf irgendetwas unter dem Speisewagen zeigten.
    Poirot lehnte sich hinaus und sprach den Schlafwagenschaffner an, der gerade vorbeirannte. Der Mann antwortete, und als Poirot den Kopf wieder zurückzog und sich umdrehte, stieß er fast mit Mary Debenham zusammen, die unmittelbar hinter ihm stand.
    «Was ist los?», fragte sie ein wenig atemlos auf Französisch. «Warum stehen wir hier?»
    «Nichts weiter, Mademoiselle. Unter dem Speisewagen hat irgendetwas Feuer gefangen. Nichts Schlimmes. Der Brand ist schon gelöscht. Jetzt wird noch der Schaden repariert. Es besteht keine Gefahr, das versichere ich Ihnen.»
    Sie winkte ungehalten ab, als wäre der Gedanke an Gefahr für sie etwas völlig Nebensächliches.
    «Ja, schon, das ist mir klar. Aber die Zeit!»
    «Zeit?»
    «Ja. Wir bekommen Verspätung.»
    «Möglich – ja», pflichtete Poirot ihr bei.
    «Aber wir können uns keine Verspätung leisten! Der Zug kommt um sechs Uhr fünfundfünfzig an, und dann müssen wir über den Bosporus und auf der anderen Seite um neun Uhr den Simplon-Orient-Express erreichen. Eine Verspätung von ein, zwei Stunden, und wir verpassen den Anschluss.»
    «Ja, das könnte passieren», räumte er ein.
    Er sah sie neugierig an. Die Hand, die den Fenstergriff hielt, war nicht ganz ruhig, und auch ihre Lippen zitterten.
    «Ist es Ihnen sehr wichtig, Mademoiselle?», fragte er.
    «Ja. O ja. Ich – muss diesen Zug erreichen.»
    Sie wandte sich von ihm ab und ging zu Colonel Arbuthnot, der weiter hinten auf dem Gang stand.
    Ihre Sorge erwies sich jedoch als unbegründet. Nach zehn Minuten fuhr der Zug wieder an. Er traf mit nur fünf Minuten Verspätung in Haydapassar ein, nachdem er unterwegs etwas Zeit aufgeholt hatte.
    Der Bosporus war rau, und Monsieur Poirot genoss die Überfahrt nicht. Auf dem Schiff wurde er von seinen Reisegefährten getrennt und sah sie nicht wieder.
    Sowie sie an der Galata-Brücke angelegt hatten, fuhr er geradewegs zum Hotel Tokatlia.

Zweites Kapitel

Hotel Tokatlia
     
    I m Hotel Tokatlia ließ Hercule Poirot sich ein Zimmer mit Bad geben, dann ging er zum Portier und fragte, ob Post für ihn da sei.
    Drei Briefe und ein Telegramm warteten auf ihn. Beim Anblick des Telegramms zog er die Augenbrauen ein wenig hoch. Damit hatte er nicht gerechnet.
    Er öffnete es auf seine gewohnt ordentliche, uneilige Art. In deutlichen Großbuchstaben stand darauf:
    «Ihre Voraussage im Fall Kassner unerwartet eingetroffen. Bitte sofort zurückkommen.»
    «Voilà ce qui est embêtant», brummelte Poirot verärgert. Er sah zur Uhr hinauf.
    «Ich muss noch heute Abend weiter», sagte er zum Portier. «Wann fährt der Orientexpress ab?»
    «Um neun Uhr, Monsieur.»
    «Können Sie mir einen Schlafwagenplatz besorgen?»
    «Gewiss, Monsieur. Um diese Jahreszeit gibt es da keine Schwierigkeiten. Die Züge sind fast leer. Erste oder zweite Klasse?»
    «Erste.»
    «Tres bien, Monsieur. Wie weit fahren Sie?»
    «Bis nach London.»
    «Bien, Monsieur. Ich besorge Ihnen eine Fahrkarte nach London und lasse Ihnen ein Schlafabteil im Kurswagen Istanbul-Calais reservieren.»
    Poirot sah wieder auf die Uhr. Es war zehn vor
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher