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Monströse Welten 1: Gras

Monströse Welten 1: Gras

Titel: Monströse Welten 1: Gras
Autoren: Sheri S. Tepper
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eingestand; aber sie würde auf keinen Fall hierbleiben. Kopfschüttelnd ging Sylvan wieder an seinen Platz. Langsam und zögernd setzte sie sich in Bewegung, während die Jäger den Hunden durch das Jagdtor folgten. Von der anderen Seite der Mauer hörte man Hufgetrappel auf dem Rasen. Die Reittiere warteten.
     
    Vom Balkon ihres Schlafzimmers aus musterte Rowena, die Obermum bon Damfels, mit sorgenvollem Blick den Hinterkopf ihrer jüngsten Tochter. Vom weißen Halstuch umschlungen, wirkte Dimitys Hals fragil und schutzlos. Sie ist wie eine kleine Blüte, sagte Rowena sich und erinnerte sich an die Bilder von nickenden Blüten in den Märchenbüchern, die sie als Kind gelesen hatte. »Schneeflocken«, rezitierte sie im Geiste. »Tulpen. Glockenblumen. Und Pfingstrosen.« Früher hatte sie ein Buch über all die guten und bösen Feen besessen, die in Blumen lebten. Sie fragte sich, wo das Buch jetzt wohl war. Wahrscheinlich verschwunden. Eines dieser ›fremden‹ Dinge, gegen die Stavenger immer agitierte. Als ob ein paar Märchen jemandem hätten weh tun können.
    »Dimity schaut so winzig aus«, sagte Salla, das Kindermädchen. »So winzig. Und dann will sie mit hinausreiten…« Salla hatte die Kinder betreut, als sie Babies waren. Dimity, das Nesthäkchen, war länger ein Baby geblieben als die anderen.
    »Amethyste war genauso alt, als sie zum erstenmal ausgeritten ist. Und Emmy war sogar noch jünger.« Obwohl sie es zu unterdrücken versuchte, schwang der Unterton einer Rechtfertigung in Rowenas Stimme mit. »So jung ist sie nun auch nicht mehr.«
    »Aber ihre Augen, gnädige Frau«, murmelte Salla. »Wie ein kleines Mädchen. Sie weiß doch nichts von der Jagd. Nichts. Überhaupt nichts.«
    »Natürlich weiß sie Bescheid.« Rowena mußte das einfach sagen und auch daran glauben. Das war doch der Sinn und Zweck der ganzen Ausbildung: daß die jungen Reiter wußten, worum es bei der Jagd ging. Es war alles gar kein Problem, vorausgesetzt, man hatte zuvor eine gründliche Ausbildung erhalten. »Sie weiß Bescheid«, wiederholte Rowena halsstarrig, stellte sich vor den Spiegel und fingerte am Arrangement ihres dichten schwarzen Haars herum. Ihre grauen Augen starrten sie anklagend an, und sie biß sich auf die Lippe.
    »Weiß sie nicht«, widersprach Salla genauso stur und drehte sich schnell weg, um dem Klaps zu entgehen, den Rowena ihr womöglich verpaßt hätte, wenn das möglich gewesen wäre, ohne sich zu bewegen. »Sie ist wie Sie, gnädige Frau. Nicht dafür geschaffen.«
    Schließlich wurde Rowena der Betrachtung ihres Spiegelbilds überdrüssig und beschloß, sich auf eine andere Argumentation zu verlegen. »Ihr Vater wollte es so!«
    Dem widersprach Salla nicht. Es hätte nämlich auch keinen Sinn gehabt. »Sie ist nicht dafür geschaffen. Genausowenig wie Sie. Und Sie zwingt er doch auch nicht.«
    Oh, jetzt vielleicht nicht mehr, aber er hat es getan, sagte Rowena sich, wobei sie von schmerzlichen Erinnerungen überwältigt wurde. Er hat mich zu so vielen Dingen gezwungen, die ich nicht tun wollte. Ja, er hat nicht mehr darauf bestanden, daß ich ausritt, aber erst, als ich mit den sieben Kindern schwanger war, die ich ihm gebären sollte, wo ich doch nur ein oder zwei Kinder haben wollte. Hat mich zum Reiten gezwungen, bis ich alt wurde und Falten um die Augen bekam. Hat mich gezwungen, die Kinder auf die Jagd zu schicken, obwohl ich das nicht wollte. Hat sie alle nach seinem Vorbild geprägt – außer Sylvan. Egal, was Stavenger auch tut, Sylvan bleibt Sylvan. Nicht daß Sylvan sagt, was er wirklich denkt. Sylvan schimpft nur über alles. Kluger Syl, so lautstark wie er sich gibt, seine wirkliche Meinung zu verbergen. Und Dimity bleibt natürlich auch Dimity – aber die arme Dim –, Dim kann sich nicht verstellen. Ob sie heute wohl in der Lage wäre, ihre Gefühle zu verbergen?
    Rowena trat wieder auf den Balkon und reckte den Hals, um über die Mauerkrone hinwegzuschauen. Sie erblickte die Reittiere, die nervös tänzelten, den Kopf hochwarfen und mit dem Schweif wedelten. Sie vernahm das Trappeln der Hufe und das Schnauben der Tiere. Es war zu ruhig. Es war immer zu ruhig, wenn die Reiter aufsaßen. Sie hätte es als natürlich empfunden, daß die Reiter sich begrüßten und ein Schwätzchen hielten. Da fehlte… etwas. Dieses Schweigen war bedrückend.
     
    Vor dem Jagdtor liefen die Hunde im Kreis herum, und die Reittiere warteten, wobei sie ungeduldig von einem Huf auf den anderen traten,
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