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Monster (German Edition)

Monster (German Edition)

Titel: Monster (German Edition)
Autoren: Benjamin Maack
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dass Stephan und Kathrin zusammen die Schwarzs sind. Kathrin und Stephan Schwarz.
    »Ah. Da sind Sie ja in einem schönen, alten Haus untergekommen. Ich war früher oft da, als der Herr Brunner und seine Frau noch lebten.«
    Sie steht mit einem leisen Ächzen auf und geht langsam hinter den Tresen, über dem »Touristik« steht. »Hier kümmert man sich umeinander«, murmelt sie halb zu sich selbst. »Na ja, aber seit sie verstorben sind, war ich nicht mehr da. Ist es denn noch schön?«
    »Ich denke schon.«
    »Ah so. Was kann ich denn für Sie tun?«
    »Ich würde gern das Dorf umwandern. Können Sie mir eine Landkarte verkaufen oder mir sagen, wo ich langgehen muss?«
     
    Zwischen den hundertjährigen Bäumen, neben dem Bachlauf und den stillen Steinen sind die letzten Tage nur ein ferner Gedanke. Stäbe aus Licht stoßen durch das wankende Laubdach, lassen den Weg blass funkeln.
    Tief atmen, die Lungen aufblasen wie Ballons. Das alles in sich aufsaugen.
    Der Pfad ist schmal, es gibt keine Abzweigungen, keine Trampelpfade in den Wald, keine Alternativen. Ein Mann, ein Weg. Gut fühlt sich das an. Benjamin marschiert mit langen Schritten, merkt gar nicht, wie sich der Himmel verdunkelt. Die Sonne verschwindet hinter dem Berg wie abgestürzt. Es wird finster. Es wird kalt. Eine Kälte, die unter die dünne Nylonjacke schleicht. Benjamins Kleider ziehen die klamme Luft in ihr Gewebe, wie ein Schneeanzug sich mit Eiswasser vollsaugt und ein Kind auf den Grund eines Wintersees zieht. Die Blätter der Bäume stürzen aus ihrem Grün in ein düsteres Türkis.
    Benjamin bemerkt das alles nicht. Benjamin geht einfach nur. Benjamin geht den Weg.
    Dann beginnt es zu regnen.
    In Sekunden brechen die dicken Tropfen durch die Baumkronen und zerplatzen auf Benjamins Gesicht. Unter seinen Ledersohlen verwandeln sich Baumwurzeln in rutschige Krampfadern. Rechts von ihm der Bach. Dahinter Dickicht, Dunkel, eine Mauer aus Tannen. Der Hang zu seiner Linken blutet Schlamm.
    Der Regen wird stärker. Der Regen peitscht jetzt in die Augen.
    »Warum wollen Sie um das Dorf rum?«, hatte die Frau in der Touristeninformation gefragt und an ihm heruntergeschaut.
    »Einfach so.«
    Benjamin rutscht aus. Mit einer Hand versucht er, sich in dem Gras am Bachrand abzustützen und versinkt bis zum Ellenbogen im schlammigen Boden. Als er sich befreien will, hält ihn ein schmatzender Unterdruck. Bewegt sich da etwas? Da bewegt sich doch was. So sterben Menschen, denkt er. Sie machen Urlaub, einen kleinen Ausflug in die Wildnis, sie rutschen aus, fallen unglücklich, brechen sich einen wichtigen Rückenwirbel, dann wird es Nacht, dann wird es kalt, dann erfriert man am Rand eines Wanderweges mit Blick auf die Dächer des Dorfes, und am nächsten Tag fragen sich alle, wie ein solches Unglück nur geschehen konnte.
    Mit einem Ruck den Arm aus der Erde zerren, als sei er gar kein Teil mehr von einem. Er ist schwarz von fauligem Schlamm. Im Dorf hinter dem dichten Regenvorhang gehen grau die Lichter an. Den Abhang runterschauen auf einen Garten hinter einem Haus. Ein Komposthaufen, ein Maschendrahtzaun, ein paar vergessene Kinderspielzeuge.
    Auch mit dem Blick auf so was kann man sterben, denkt Benjamin.
    Auch mit dem Blick auf so was kannst du sterben.
    Wenn jetzt ein morscher Ast von einer Böe aus den Bäumen gebrochen wird und auf deinen Schädel kracht, hört keiner deine Schreie.
    Wenn du jetzt nicht aufpasst, dann ...
    Du kennst die Geschichte.
    Jeder kennt die Geschichte von dem Schüler, der auf der Abifahrt nach Italien unter einem jahrtausendealten römischen Bogen durchgeht. Ein Stein, der sich aus dem Gemäuer löst. Ein zertrümmerter Schädel in irgendeinem Dritte-Welt-Dorf in Italien. Und die Biografie ist beendet, bevor man was Richtiges im Lebenslauf stehen hatte. Ein uralter, unschuldiger Stein und man ist tot.
    Und du bist tot.
    So schnell geht das.
    Als wäre der Ewigkeit ein blöder Witz eingefallen.
    Du denkst an Tiere aus einem Trickfilm, den du als Kind gesehen hast. Wildschweine, Füchse, Hasen, Eichhörnchen, Vögel, aufgereiht wie für ein Klassenfoto.
    Du stellst dir vor, wie diese Tiere hinter den Bäumen warten. Aber nicht, um mit geschickten Pfötchen deine Wunden mit Moos und Rinde zu versorgen, sondern um die Ersten zu sein, wenn du endlich dein Bewusstsein verlierst.
    Schneller gehen, die schmutzige Hand von deinem Körper weghalten, wie etwas Fremdes, wie einen Beutel Abfall.
    Du bist ein Erwachsener auf einem
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