Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Monster (German Edition)

Monster (German Edition)

Titel: Monster (German Edition)
Autoren: Benjamin Maack
Vom Netzwerk:
seine Adern sich auflösen würden, dass sein Blut Säure wäre. Es war immer dasselbe. Alle paar Wochen brach Stephan plötzlich zusammen. Als wäre etwas in ihm aufgebraucht. Er hatte diese fixe Idee, dass die Stresshormone in seinem Körper nicht abgebaut werden, dass sie sein Blut in eine ätzende Suppe verwandeln, die seine Adern von innen zerfrisst. Dann rollte er sich auf ihrem ekligen Badvorleger zusammen. Dann liefen dicke, trübe Tränen und Rotz über sein Gesicht. Dann ließ er seinen Hinterkopf auf die Fliesen donnern. Dann war nichts mehr von dem übrig, was Benjamin an ihm hasste. Dann stand Benjamin neben seinem Mitbewohner und sah sich das alles an. Er war das Publikum für diese Szenen, und irgendwie beruhigten sie ihn. Er war froh, dass Stephans Leben nicht umsonst war, dass es etwas kostete.
    An einem dieser Abende lernten Kathrin und Stephan sich kennen. Zusammengerollt, schluchzend lag er auf dem Boden. Voller Schnodder, ein roter Babykopf zwischen zwei Armen, der Hinterkopf voller schmerzender Beulen unter dichtem, weichem Haar.
    Eigentlich wollte Kathrin mit Benjamin ins Kino gehen. Sie studierte damals in einer anderen Stadt und kam ihn zum ersten Mal besuchen. Flüsternd bat er Stephan, ruhig zu sein. Er schloss die Tür zum Bad, zog sich Jacke und Schuhe an. Lächelnd öffnete Benjamin Kathrin die Tür, während Stephans erbärmliches Wimmern aus dem Bad kam. Sie trat ganz selbstverständlich ein, horchte, ging ins Badezimmer und kniete sich neben Stephan. Was hast du?, fragte sie ihn. So ist Kathrin. Hilfsbereit. Auch dann, wenn andere schon am Nachmittag die Kinokarten gekauft haben.
    Sie und Benjamin waren zu der Zeit kein Paar, aber irgendwie war er sich immer sicher gewesen, dass sie einmal heiraten würden. Sie gehörte ihm, auch wenn es da noch keine richtige Absprache gab. Wenn alles gut laufen würde, hatte er gedacht, würde sie erst am nächsten Morgen wieder in den Zug nach Hause steigen.
    Am Ende schlief Stephan in Kathrins Armen ein. Zwei Fremde unter einer Decke. Und Benjamin saß allein in seinem Zimmer und knetete die Kinokarten in seiner Hosentasche, bis nur noch Fussel übrig waren.
     
    »Ich gehe mal ins Dorf«, ruft Benjamin in die Küche und schlägt die Haustür hinter sich zu.
     
    3
    Das Dorf sieht unschuldig und verdorben zugleich aus. Ein Dorf wie nach einem Weltuntergang. Ein Dorf wie auf den Leichen von Milliarden, versteckt zwischen unschuldigen, grünen Hügeln. Zwei Reihen holzverkleideter Häuschen, links und rechts die holprig geteerte Hauptstraße hinunter. Ein Bäcker, ein Grillimbiss, ein Laden für Funktionskleidung mit verstaubten Auslagen im Schaufenster, verblichene Goretex-Jacken-Werbung. Eine Apotheke, ein kleiner Supermarkt und eine Touristeninformation. Über allen anderen Hauseingängen hängen Zimmer-frei-Schilder mit handgepinselten Tannen, Hexen oder großäugigen Waldgeistern.
     
    »Hallo?«
    Ein Windspiel klirrt über der Tür. Bücherwände, Staubgeruch. Die Jalousien sind heruntergelassen. Der Raum wird nur von einem Computerbildschirm erhellt, an dem ein blondes Mädchen versucht, eine Mauer von Steinen Reihe um Reihe verschwinden zu lassen, während von oben immer neue herabfallen. Am oberen Bildschirmrand klebt ein laminierter Zettel. »Gästecomputer« ist darauf in umständlich verschnörkelten Buchstaben zu lesen. Benjamin steht unter dem Windspiel, bis man nichts mehr hört als den Lüfter des Computers und die Finger auf der Tastatur. Die Quader fallen immer schneller, die Mauer wird höher und höher.
    »Hallo, Entschuldigung, ich ...«
    »Sekunde, sage ich doch«, stöhnt das Mädchen, obwohl es noch gar nichts gesagt hat.
    »Hmpf«, macht der blonde Hinterkopf schließlich. Der Bildschirm ist bis zum oberen Rand voller bunter Quader. Es hat aufgehört, Steine zu regnen.
    »Entschuldigen Sie, ist hier irgendwo ein ...«, Benjamin sucht nach dem richtigen Begriff, »Touristikexperte?«
    »Ich bin das.« Benjamin ist erstaunt, als das Mädchen sich zu ihm dreht und eine alte Frau ist. »Was wollen Sie denn?«
    »Ich würde gerne das Dorf umwandern. Haben Sie vielleicht eine Karte für mich?«
    »Normalerweise kenne ich alle Auswärtigen, die hier außerhalb der Saison herkommen.«
    »Ich bin zu Besuch.«
    »Ah so. Und bei wem haben Sie sich eingemietet?«
    »Ich besuche alte Freunde.«
    »Ah so, verstehe. Wen denn?«
    »Die Schwarzs«, sagt Benjamin und merkt, dass sich das komisch anhört, weil er das so noch nie gesagt hat,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher