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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin
Autoren: Frederica de Cesco
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katholisch, so, wie man eine Rolle spielt. Sie war ohne Religion aufgewachsen. Die Gottesdienste, die Prozessionen, die Krippen- und Passionsspiele, die vielen Feste zu Ehren diverser Schutzheiliger erlebte sie wie exotische Inszenierungen. Doch, doch, für sie war alles recht neu und hübsch. Sie heiratete in weißem Brautkleid und Spitzenschleier, wie es sich gehörte, obwohl ihr Kind sechs Monate später zur Welt kam, viel früher, als Brauch und gute Sitten es vorschrieben; die Leute konnten ja rechnen. Allerdings wurde es eine schwere Geburt, weil das Becken meiner Mutter zu eng war und die starken Sehnen sich nicht richtig streckten. Und da schlug das Unglück zu: Nicht nur, dass unmittelbar nach mir meine Mutter eine Totgeburt zur Welt brachte, Tomaso, sondern auch ihr nächstes Kind, wieder ein Junge, mit einem Herzfehler geboren wurde. Diesmal kostete sie die Entbindung fast das Leben. Im letzten Augenblick rettete sie ein Kaiserschnitt, aber das Kind lebte nur einige Tage. Daraufhin wurde Ingrid depressiv, und Geoffrey, der nie besonders fromm gewesen war, erlebte es als Strafe des Himmels, bis die Schwiegermutter unter Tränen zugab, dass es sich um eine erbliche Veranlagung handelte: Sie selbst hatte, bevor Geoffrey gesund auf die Welt kam, zwei Neugeborene auf ähnliche
Weise verloren. In der Familie Zammit gab es schlechtes Blut: Man hatte zu viel untereinander geheiratet. Der kleine Inselstaat, der sich als Drehscheibe der Geschichte empfand, war in Wirklichkeit fern von allem, im Raum und noch mehr in der Zeit.

    Der Arzt teilte Mutter mit, dass es wohl besser war, keine Kinder mehr zu haben. Sie erholte sich, wollte wieder tanzen, aber etwas in ihr war zerbrochen. Sie hatte zugenommen, fühlte sich kraftlos und verbraucht. Die Nachwuchstänzerinnen waren so stählern, so gelenkig, so ehrgeizig. Hartgeschliffene Diamanten. Mutter trainierte eine Zeit lang mit einem kleinen Ensemble, bevor sie aufgab. Sie ermüdete schnell, das Klima bekam ihr nicht. Der Sommer war unerträglich heiß, nasskalt der Winter. In einer Zeitspanne von fünf Monaten starben auch die Schwiegereltern, beide mit einem Priester neben sich. Vater hatte längst bemerkt, dass er mit Mutter über Religion nicht reden konnte. Er versuchte auch nicht, sie zu beeinflussen, aber fortan ging er sonntags zur Messe. Unfähig, in der Kirche irgendein Glückshormon aufzuspüren, haderte Mutter mit sich selbst, blieb aber stur. Einerlei, sie wollte aus dem Vorhandenen etwas machen. Glück war es keineswegs, aber mit dem, was es war, gab sie sich zufrieden. Valletta wurde für sie ein Abbild der Welt, nur alles auf engem Raum zusammengerückt.
    Das Manoel Theater in der Old Theatre Street – das sich Mitte des neunzehnten Jahrhunderts noch »Royal Opera« nannte –, ist ein Schmuckstück, ganz in Holz ausgekleidet, die Galerien mit Goldstuck und Fresken geschmückt. In der Nachkriegszeit war kein Geld da, das Gebäude wurde vernachlässigt, zeitweise als Sozialstation für die Armen genutzt. Nach umfangreicher Renovierung wurde es 1960 wieder seiner ursprünglichen Bestimmung zugeführt. Die Malteser lieben dramatische Aufführungen, gefühlvolle Musik. Da es nach
wie vor an Geldmitteln fehlte, waren die meisten Darsteller Laien, sogar die Mitglieder des kleinen Orchesters, die überaus gut spielten. Mutter beobachtete das Ganze eine Zeit lang. War sie gut aufgelegt, erzählte sie recht witzig, wie sie einmal einer Generalprobe beiwohnte und die vollbusige »Madame Butterfly« in einer Art geblümtem Vorhangstoff auftreten sah, mit zwei Hibiskusblüten im Haar, während der amerikanische Marineoffizier Pinkerton mit tintenschwarzen Haarlocken in Schaftstiefeln auf die Bühne stapfte.
    Eine junge Frau, die »hinter der Mauer« aufgewachsen ist, lernt schnell, mit Nadel, Faden und Nähmaschine umzugehen. Die Bühne mochte ein Schattenspiel sein, aber warum ein geschmackloses? Nach dieser Generalprobe nähte Mutter eine lange Nacht lang, passte der Sängerin zwei Kimonos mit schöner Gürtelschärpe an. Sie bat den Tenor, keine Schaftstiefel zu tragen, und überredete ihn zu einer blonden Perücke. Sie erzählte mit einem amüsierten Zucken um den Mund auch, wie bei der nächsten Aufführung der »Perlenfischer« Tenor und Bariton in eine Art Badehose schamhaft auf der Bühne standen. Mutter nähte ihnen stilechte indische Beinkleider, knüpfte ihre Turbane so, dass sie gut aussahen und gut hielten. Die mollige Tempeltänzerin hüllte sie in
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