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Mondgeschöpfe (Phobos)

Mondgeschöpfe (Phobos)

Titel: Mondgeschöpfe (Phobos)
Autoren: Michael Schuck
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Julia, du musst diese Schulterbewegung anders aufbauen, diese Situation, wenn du dich umwendest. Es ist zu eckig, zu hart. Es sieht zu sehr nach Joggen aus oder nach Callanetics."
    Herwe wusste, dass sie solche Sachen besser konnte als jeder Regisseur. Für die Regisseure war der Star ja doch nur ein Mittel, um berühmt zu werden, der Weg, über den sie auf ihrem Weg zum eigenen Erfolg zur Not auch hinwegtrampelten.
     
    *****
     
    Ragnos nahm drei Stufen auf einmal die Treppe hinunter. Er pfiff auf jeden Aufzug der Welt. Das Leben hatte sich ihm neu aufgetan. Er konnte es spüren, im Klopfen seines Herzens, im schneller werdenden Atem. Ragnos genoss jede einzelne Stufe der Treppe. Endlich blieben sie hart und eckig und an ihrem Platz. Sie klappten nicht ab, sie wurden nicht weich, seine Füße sanken nicht in diesen ekeligen Glibber ein, der ihn noch vor zwei Wochen so erschreckt hatte, als er die Stufen im Gebäude des Finanzamtes hinaufgeeilt war. Jetzt blieben sie einfach an dem Platz, an dem sie sein sollten, und sie blieben das, was sie waren: Stufen.
    Er drückte die Glastüre des großen Hauses auf. Seine Finger verharrten einen Augenblick auf dem kalten, glatten Glas. Es war so wohltuend, dass es so blieb. Es wurde nicht weich, seine Hand griff nicht hindurch, wie schon so oft in den vergangenen Wochen.
    Er war wieder normal. Als er die Türe durchquert hatte und auf der Straße stand, spukte ihm Herwe durchs Gehirn. Es schmerzte kurz. Doch seine Hochstimmung wischte alle nostalgischen Rückblicke seiner Seele mit einem Handstreich zur Seite: Wer zum Teufel war eigentlich Herwe? Schließlich hatte sie ihn im Stich gelassen, gerade als er die erste ernsthafte Krise seines Lebens hatte, die ihn sogar in seiner beruflichen Laufbahn bedrohte.
    Ach, was Herwe! Es war Zeit für neue berufliche Erfolge. Und es war Zeit für diese immer jungen Frauen, die er bei Empfängen oft beobachtet hatte, Frauen mit Traumfiguren, schneidigen Frisuren und dieser unvergleichlichen entgegenkommenden Freundlichkeit.
    Ragnos ließ sich mit dem Taxi nach Hause fahren, probierte mit hektischem Eifer intensiv verschiedene Anzüge durch, bis er sich für eine erdfarbene Kombination und ein lila Hemd entschied.
    Mit seinem Mazda MX5 - Sportwagen, limitierte Auflage, fuhr er zur BAU, der Berliner Abfall- Unternehmung. Seit zwei Jahren arbeitete er für diese Firma als Geschäftsführer. Ein raues Unternehmen in einer wilden, aber ausgesprochen gewinnträchtigen Branche. In dieser Branche wurden Leute gebraucht, die völlig gesund waren. Ausgesprochen unbrauchbar waren Leute, die sich nicht auf die Straße trauten, weil sie Angst hatten, auf einen Gullydeckel zu treten.
    Seine Leute im Büro spürten sofort, was die Stunde geschlagen hatte. Besonders der stellvertretende Geschäftsführer Ohligs. Ragnos schob gewissermaßen eine energetische Bugwelle vor sich her, vor der sie alle zurückwichen, als er das Büro betrat. Ragnos war zurück und bereit, die Geschäfte voll und ganz wieder zu übernehmen.
     
    *****
     
    Herwe saß neben Elquist in der "Kamera" und schmolz in Julia hinein, in ihre Sorgen, ihre Ängste und ihr enormes Durchhaltevermögen. Elquist benahm sich wie ein Sechzehnjähriger, begrabbelte ihre Knie, ihre Oberschenkel.
    Herwe fühlte sich nicht sehr angemacht. Aber sie war es von Elquist gewöhnt. Es störte sie auch nicht sonderlich. Jedenfalls jetzt im Augenblick noch nicht. Manchmal hatte es etwas geradezu Beruhigendes. Man wurde nicht überrascht. Aber manchmal hatte es auch etwas Penetrantes, nie überrascht zu werden. Mit Elquist waren die Dinge der Liebe eben etwas schlicht.
    Jetzt kniff sie ihn doch in die Hand, weil es ihr unangenehm wurde, die ganze Zeit die Oberschenkel zusammenzupressen.
    Sie kniff schmerzhaft zu.
    Er zuckte heftig zusammen, und Herwe freute sich.
     
    *****
     
    Gegen 22 Uhr verließ Ragnos das Büro. Er war sich sicher, dass er bei seinen Leuten den Eindruck hinterlassen hatte, den absoluten Durchblick zu haben. Die Lichter der Nacht begannen zu blinken und trafen sich mit Ragnos' innerer Unruhe, die er schon Sekunden nach der wundersamen Heilung bei Dr. Valmont gespürt hatte. Eine zwingende Hast, eine berauschende Sucht, das Leben mit beiden Händen zu fassen, ein Leben, das ständig verpasst werden konnte, ein Leben, das im Entgleiten war, wenn man nicht fest genug zupackte.
    Ragnos schnurrte mit seinem Mazda zum "Tudor", dem Treff der jungen aufstrebenden Banker zuzüglich anderer
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