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Mondberge - Ein Afrika-Thriller

Mondberge - Ein Afrika-Thriller

Titel: Mondberge - Ein Afrika-Thriller
Autoren: Stephan Martin Meyer , Andreas Klotz
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Oberkommando der ALR im Kongo, das er persönlich lieber Zaire nannte, und seine Vormachtstellung machte ihm niemand streitig. Schließlich war die Armée de Libération Rwandaise die stärkste Befreiungsarmee des besetzten Ruanda. Paul war groß gewachsen und von bulliger Statur; eine Narbe zog sich durch sein herbes Gesicht von der linken Augenbraue über die Wange bis zum Kinn. Er war jetzt 42 Jahre alt und noch lange nicht am Ende seiner Karriere bei den ruandischen Rebellen angelangt. Vor sich sah er große Ziele, die er um jeden Preis erreichen wollte: Irgendwann würde er diese Armee befehligen.
    Er ließ den Blick durch die amerikanische Pilotenbrille über seine Soldaten schweifen. Dann rief er ihnen laut seinen Befehl zu:
    »Wir brechen auf. Sofort!«
    Die Soldaten liefen über den schlammigen Platz, griffen nach ihren Macheten und Kalaschnikows und kamen in mehr oder weniger geraden Reihen zum Stehen. Etwa siebzig Männer und mehr als dreißig Jungen betrachteten ihn. Paul spürte Wut in sich aufsteigen. Eine Armee aus Kindern. So würden sie nie Erfolg haben.
    Ein Junge war abseits auf einem Holzstamm sitzen geblieben. Er zitterte. Paul trat mit bedrohlich zusammengekniffenen Augen vor den Halbwüchsigen. Seit drei, vier Jahren durfte er bei der Miliz dienen, doch er hatte offenbar noch immer nicht verstanden, welch eine Ehre es bedeutete, für Bernard Kayibanda, ihren Präsidenten, zu arbeiten. Und er hatte auch noch nicht verstanden, was ihm drohte, wenn er seinen Befehlen, den Befehlen des Generals, nicht folgte.
    »Was ist?«, fragte Paul scharf.
    Der Junge schaute kurz zu seinem Befehlshaber auf, dann senkte er den Kopf.
    »Hast du etwa Angst?«, bohrte Paul nach.
    Er bekam nur ein stummes Kopfschütteln zur Antwort. Doch Paul bemerkte die nasse Hose. Er roch die Pisse, er bemerkte, wie der Junge sich immer mehr zusammenkauerte.
    »Doch, und was für eine Angst du hast.«
    Er griff den Jungen an den Haaren und zog ihn zu sich hoch. Er war fast so groß wie der General, wirkte jedoch wie ein kleines, verängstigtes Kind. »Du weißt, was wir mit weibischen Soldaten machen, die keinen Mumm haben!« Er stieß ihn vor sich her, auf die Gruppe Soldaten zu, die ihm mit eisernen Mienen entgegenblickten. »Stell dich hin, du schwuler Pisser!«
    Der Junge stolperte über eine Wurzel und fiel in den Matsch. Paul hasste diesen Schlamm. Zuhause in Ruanda war es viel trockener. Hier im Osten des Kongo bedeckte der sumpfige Boden große Teile der Landschaft. Wieder spürte Paul Wut. Wegen der verdammten Tutsi musste er in diesem elenden Dschungel leben. Die hohen Herren in Europa regten sich über den angeblichen Genozid in Ruanda auf, aber dass auch er durch die Scheiße gegangen war, das interessierte niemanden. Er würde sich seine Heimat zurückholen.
    Paul baute sich vor dem Jungen auf, der sich gerade wieder aufrappelte. Bei der letzten Bestrafungsaktion war er ihm bereits aufgefallen. Er hatte sich nicht wie die anderen beteiligt, sondern hatte mit offenem Mund dabeigestanden, so als wäre er völlig blöde. Schon häufiger hatte Paul solche Jungen erlebt, und gerade in dieser Gruppe waren einige, die sich noch nicht in ihre Situation gefügt hatten. Es war Zeit, ein Exempel zu statuieren.
    Er riss den Jungen erneut an den Haaren nach oben, diesmal so heftig, dass sich ganze Büschel lösten und Blut aus den Wunden quoll. Angewidert wischte Paul es sich von den Fingern. Der Junge stand schwankend vor ihm, fixierte seinen General mit rot unterlaufenen Augen. Paul packte ihn am Kragen, drehte ihn mit dem Gesicht zu den Soldaten, die dem Geschehen mit angespannten Mienen folgten. Dann zog Paul langsam sein Messer aus der Scheide. Er liebte dieses Messer, denn es verschaffte ihm Macht, unglaubliche Macht. Die Bestrafung mit dem Messer, die Nähe zu seinem Opfer, machte diese Form des Exempels so unvergleichlich. Keine Kalaschnikow und keine Machete brachten ihn dem Leben und dem Tod so nahe. Er genoss es insgeheim, wenn sich Körper unter seiner Hand aufbäumten, er erfreute sich am Zucken der Muskeln und dem sich anschließenden Erschlaffen aller Gliedmaßen.
    Paul zog den Jungen zu sich heran, blickte an ihm vorbei seine Soldaten an, fixierte dabei einen nach dem anderen. Da hinten links, der Junge in der letzten Reihe, guckte der nicht auch ängstlich? Wie hieß er noch gleich? Paul würde ein Auge auf ihn haben müssen. Wenn er in dieser Nacht nicht wie ein Mann standhielt, dann würde er der Nächste sein.
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