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Titel: Mobile
Autoren: Andreas Richter
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Kinderhandschrift.
    Was ist da drin?, fragte er sich. Er war im Begriff, das Päckchen au fzureißen, als er Carola von unten rufen hörte: »Joachim, die Leute von der Wohnungsauflösung sind da! Kommst du bitte runter?«
    » Bin sofort unten!«, rief er. Er warf einen abschließenden Blick in die Kiste, doch entdeckte nichts mehr, was ihn sonderlich interessierte. Er schloss die Kiste und schob den Riegel zu, schnappte sich das Poesiealbum und das verschnürte Päckchen und stieg die Treppen hinunter. Als er die Dachluke schließen wollte, rutschte ihm der kleine Griff aus den Fingern und die Luke schloss sich mit einem lauten Knall.
    »Alles in Ordnung ?«, rief Carola hoch. Sie war schnell ängstlich und geriet häufig wegen Kleinigkeiten in Sorge - eine Eigenschaft, die Joachim gelegentlich nervte.
    »Ja, alles okay, nichts passie rt«, rief er zurück und ging nach unten.
     
    *
     
    Joachim hob den Umzugskarton aus dem Kofferraum des Kombis. Carola schlug die Tür zu und schloss den Mittelklassewagen ab. Kurz darauf betraten sie das Jugendstiletagenhaus und gingen hoch ins erste Obergeschoss. Carola schloss die Wohnungstür auf und ließ Joachim an sich vorbei. Er ging geradewegs in die Küche, stellte den Karton auf die Arbeitsplatte neben der Spüle und hörte, wie Carola die Wohnungstür zudrückte und ihre Jacke in den Garderobenschrank hängte. Unmittelbar danach kam auch sie in die Küche. Sie trat hinter ihn und legte ihre Arme um seine Hüften.
    »Wie geht es dir?«, fragte sie sanft. »Es muss weh tun, hinter einen wichtigen Teil des eigenen Lebens den letzten Haken zu machen.«
    »Ja, es schmerzt. Aber es war klar, dass dieser Tag kommen würde. Ich bin dankbar, dass meine Mutter gesund alt werden durfte und dass der Tod sie so erwischt hat, wie wir alle es uns wünschen: Unangekündigt, in einer Sekunde auf die andere, schmerzfrei. Es war das gute Ende eines guten Lebens. Nun noch die Beisetzung Ende nächster Woche und die alte Hütte verscherbeln, und das war es dann.« Er seufzte. »Ein Mensch stirbt, und alles läuft weiter und Erde dreht sich, als sei nichts geschehen. Wie unwichtig jeder von uns im gewaltigen Ganzen ist, niemand ist mehr als bloß ein winziges Stück im gigantischen Puzzle.«
    Carola gab ihm einen Kuss auf die Wange und ließ ihn los. Sie sa gte: »Heute Abend müssen wir Nicki endlich erzählen, was passiert ist und dass er seine geliebte Oma niemals wiedersehen wird. Davor graut mir.«
    Er nickte. Dann sagte er: »Ich weiß, dass es dafür eigentlich zu früh ist, und es ist auch nicht meine Art, aber ich g enehmige mir jetzt 'nen Drink.«
    »Um vier Uhr Nachmittags?«
    »Nur einen. Ich muss runterkommen.«
    Carola fasste ihn an den Händen und sagte: »Da habe ich eine viel bessere Idee. Ob es mit runterkommen im wörtlichen Sinn klappt, bleibt jedoch abzuwarten.«
    Noch bevor er verstand, zog sie ihn au s der Küche. Als sie das Schlafzimmer ansteuerten, begriff er endlich.
    »Caro ... .«
    »Sag' jetzt nichts!« Sie legte den Zeigefinger auf die Lippen. Dann, mit sanfter Stimme: »Wir ziehen uns aus und legen uns ins Bett, nehmen uns in den Arm und lassen alles Weitere auf uns zukommen, okay? Vielleicht halten wir uns nur fest, vielleicht streicheln wir einander, vielleicht schlafen wir miteinander. Lass' uns einfach sehen, was passiert.«
    Joachim holte tief Luft, dann nickte er. Er hatte schon weit schlechtere Vorschläge gehört.
     
    *
     
    Irgendwann gewann Joachim den Kampf gegen den Halbschlaf. Er benötigte einen Moment, um sich zu orientieren. Er lag allein im Bett. Der Digitalwecker auf dem Nachttisch zeigte wenig e Minuten nach achtzehn Uhr an.
    Sie waren ins Bett gegangen und Carola hatte sich an ihn geschmiegt. Er hatte es genossen, ihre Haut auf s einer zu spüren, dieses Gefühl von Geborgenheit und Zusammengehörigkeit. Sie hatte seine Brust gekrauelt und er ihre Schulter, und schweigend hatten beide ihren eigenen Gedanken hinterhergehangen. Später hatte sie ihn befriedigt, und sie hatte es nicht auf schnelles Erledigen angelegt, sondern sich Zeit gelassen, damit es für ihn entspannend war.
    Joachim stand auf. Seine Kleidungsstücke, die er auf den Fußboden hatte fallen lassen, waren fort, vermutlich hatte Carola sie zum Waschen mitgenommen. Auf dem Weg zu dem Kleiderschrank blieb er vor dem Wandspiegel stehen. Er betrachtete sich. Müde sah er aus, die braunen Augen waren matt, und er musste sich morgen unbedingt wieder rasieren, der Zweitagebart ließ
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