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Titel: Mobile
Autoren: Andreas Richter
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seine Eltern Joachim oft als zu alt und zu autoritär erschienen. Erst später hatte er ihre eher strenge, aber stets liebevollen Art, die ihm viel Orientierung und Struktur gegeben hatte, schätzen gelernt.
    Joachim wollte den Hausstand seiner Mutter so schnell wie möglich auflösen. Während er am Vormittag nach ihrem Tod bei dem Bestattungsunternehmen war, rief seine Frau Carola eine Firma für Wohnungsauflösungen an und vereinbarte einen Termin für den morgigen Mittag. Anschließend rief sie in der Schule an und gab Bescheid, dass ihr Sohn Niklas morgen nicht am Unterricht teilnehmen würde. Sie hatte vor, den Zehnjährigen und seinen fünf Monate alten Bruder Daniel gleich früh zu ihren Eltern zu bringen, damit Joachim und sie den Tag über den Rücken frei hatten.
     
    Die Wohnungsauflöser hatten sich für zwölf Uhr angesagt. Joachim und Carola waren bereits seit zwei Stunden in dem Haus. Sie waren gemeinsam durch die verwohnten Räume gegangen und hatten gelbe Klebezettel an die wenigen Dinge geheftet, die sie behalten wollten. Nun hatten sie begonnen, in die Schubladen und Fächer der Schränke zu schauen.
    »Ihr Sparbuch«, sagte Carola überrascht, als sie das rote He ftchen aus einem unbeschriebenen Briefumschlag zog. Sie schlug es auf, sah den letzten Eintrag und stieß staunend die Luft aus.
    »Zweiundvier zigtausend«, sagte sie. »Joachim, deine Mutter hatte zweiundvierzigtausend Euro auf einem stinknormalen Sparbuch rumliegen. Im Wohnzimmerschrank. Gibt's das?«
    Er reagierte nicht, sondern blätterte mit schnellen Fingern einen Ablageordner durch.
    »Hast du gehört?«, fragte sie nach.
    »Ja.«
    »Und?«
    »Was und ?«
    »Das ist viel Geld. Wusstest du davon?«
    »Nein. Mir war wichtig, dass sie auf ihre alten Tage finanziell zurecht kam - und das kam sie. Wie viel sie zur Seite gelegt hatte, hat mich nie interessiert.«
    »Wir könnten es in die Tilgung stecken, das verschafft uns etwas Luft.«
    Er sah sie hitzig an und sagte: »Klasse, die Alte ist endlich tot, her mit der Kohle! Findest du das jetzt passend, Caro?«
    Sie musste sich beherrschen, um ihrer Empörung nicht laut Luft zu machen. »Nun mach aber mal einen Punkt! Du weißt ganz genau, wie ich es meine. Du erbst das Geld doch sowieso, ich habe nur meinen Gedanken ausgesprochen, wie wir es verwenden sollten. Das hat mit endlich ist sie tot nicht das Geringste zu tun. Ich bin auch traurig, dass deine Mutter nicht mehr da ist, also schieb mir nichts unter!« Sie knallte die Schublade zu. »Nicht zu fassen!«
    Mit fünfunddreißig Jahren war Carola knapp vier Jahre jünger als er. Sie war hoch gewachsen, schmal und hatte schulterlanges rotblondes Haar, das sie heute zu einem achtlosen Zopf gebunde n hatte. Ihr Teint war hell und sie hatte gletscherblaue Augen; es gab eine Menge Menschen, die sie anziehend fanden, gerade weil sie nicht den klassischen Attraktivitätsmerkmalen entsprach.
    Er legte den Ordner weg, ging zu ihr und nahm sie in den Arm. »Tut mir leid«, sagte er und küsste sie auf die Stirn.
    »Mir auch.« Sie drückte ihn fest an sich.
    Er sagte: »Ist schon richtig, was du sagst. Wenn wir den Erbschein haben, be kommen die Jungs was auf ihre Sparkonten. Den Rest von dem, was das Finanzamt uns übrig lässt, nehmen wir. Und vielleicht finden wir für den alten Schuppen hier ja noch einen Käufer.«
    »Da wird nicht viel bei rumkommen. Man muss eine Menge in das Haus reinstecken, um es auf einen modernen Stand zu bekommen, da lässt sich kein hoher Preis herausholen.«
    »Ja, vermutlich hast du Recht.«
    Carola löste sich von ihm und sagte: »Lass uns weitermachen. Die Leute von der Entrümp elungsfirma kommen bald, und wir sind noch nicht besonders weit gekommen.«
    Sie küssten sich flüchtig, dann sagte Joachim: »Ich gehe nach oben, auf den Dachboden. Da war ich seit ... ich weiß nicht, seit wann nicht mehr gewes en. Mal gucken, was da so alles rumsteht.«
    Er ging die schmale Treppe hinauf ins Obergeschoss. Neben dem kleinen Badezimmer war das Schlafzimmer seiner Eltern gewesen, und gleich daneben sein Kinderzimmer. Obgleich er wusste, dass der Raum seit Jahren leer stand, öffnete er die Tür und warf einen Blick hinein. Sofort kehrten die Erinnerungen zurück. Dort hinten, neben dem Fenster, hatte sein Bett gestanden, daneben der Schreibtisch mit dem Klappstuhl, an der Wand gegenüber der Kleiderschrank und das schmale Bücherbord. Es lag lange zurück, eine kleine Ewigkeit. Leichter Wehmut überkam Joachim, als
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