Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mitternachtsstimmen

Mitternachtsstimmen

Titel: Mitternachtsstimmen
Autoren: John Saul
Vom Netzwerk:

einzuschlafen.
Das alles passierte, wenn sie schlief.
Dann kamen die Träume – die schrecklichen Träume, aus
denen sie nie aufwachen konnte – deshalb musste sie wach
bleiben, wenn sie nicht wollte, dass sie kamen.
Aber es war so schwer, wach zu bleiben. Sie versuchte alle
möglichen Tricks.
Blieb aufrecht sitzen, den Rücken an das harte Kopfteil des
Betts gelehnt, damit es möglichst unbequem war, starrte auf
die Lichter, die hinter der Jalousie spielten. Manchmal ließ sie
die Jalousie offen, in der Hoffnung, das helle Licht würde sie
am Einschlafen hindern.
Aber das funktionierte nie.
Sie hatte sich auch schon in ihren Sessel gesetzt. Der Sessel
neben dem Fenster, von dem aus sie hinausschauen konnte.
Tagsüber war das ihr Lieblingsplatz, weil sie von dort aus alles
beobachten konnte, was draußen vor sich ging. Doch nachts
auf dem Sessel zu sitzen, nützte genau so wenig wie aufrecht im
Bett zu hocken.
Sie hatte es damit versucht, unter der Bettdecke zu lesen, mit
der Taschenlampe, die sie in ihrem Nachttisch aufbewahrte.
Doch schon beim ersten Versuch wusste sie, dass auch das
nicht helfen würde: Es war zu unbequem, und die Batterien
hatten schon nach wenigen Seiten den Geist aufgegeben.
Außerdem bekam sie unter der Bettdecke noch weniger Luft
als in den Träumen.
Ein Problem war auch, dass die Träume nicht jede Nacht
kamen. An manchen Abenden schlief sie einfach ein, manchmal
in ihrem Bett, manchmal auf dem Sessel, und wachte auf, wenn
schon die Sonne schien. Das waren die guten Morgen, wenn sie
nicht in den Klauen der Traumgespenster aufwachte, nach Luft
japste und sich so schwach und erschlagen fühlte, als wäre sie
die ganze Nacht durchgerannt.
Geflohen vor den schrecklichen Dingen, die ihr in der
Dunkelheit zustießen.
Sie schaute auf den Wecker, doch die leuchtend grünen
Zeiger hatten sich kaum bewegt.
Steh auf, befahl sie sich. Steh auf und geh herum. Lauf im
Zimmer herum, bis die Sonne aufgeht. Doch das Bett war so
weich und gemütlich, und als sie sich wieder unter die Decke
kuschelte und die Augen schloss, sprach eine andere Stimme zu
ihr.
Vielleicht ließen die Träume sie heute in Ruhe. Letzte Nacht
hatten sie sie auch nicht geplagt – vielleicht kamen sie heute
Nacht wieder nicht.
Sie entspannte sich – nur ein wenig – genoss die vertraute
Wärme ihres Betts.
Und dann hörte sie es.
Ein Stöhnen – so leise, dass sie sich fragte, ob sie sich nicht
getäuscht hatte.
Sie erstarrte, hielt den Atem an, lauschte angestrengt. Nein,
sie konnte es nicht gehört haben – unmöglich! Sie hörte dieses
Stöhnen nur in diesen Träumen, und sie schlief ja noch gar
nicht.
Schlief sie wirklich nicht?
Sie machte die Augen auf, blinzelte in die Dunkelheit.
Der Wecker stand noch da, die Zeiger leuchteten grün. Dort
drüben war das Fenster, die Lichter von unten warfen Schatten
auf die Jalousie.
Doch das Viereck des Fensters war irgendwie undeutlich, so
als schaute sie durch eine Nebelschicht.
Der Nebel des Traums!
Aber wie konnte das sein? Sie war doch wach! Sie war nicht
eingeschlafen – das wusste sie genau!
Erneut warf sie einen Blick auf den Wecker. Nur eine einzige
Minute war vergangen.
Doch jetzt verschwammen die Zeiger genau so wie das
Fenster.
»Nein«, wisperte sie. »Bitte nicht…«
Ihre Stimme verschmolz mit der Stille, die jedoch nur allzu
bald von den Geräuschen des Traums gebrochen wurde.
Das entfernte Stöhnen, die Stimme der Nacht.
Das Knarren von Türen.
Schritte, die näher kamen.
Nein, versuchte sie sich einzureden. Ich bin wach. Ich bin
nicht eingeschlafen. Nein, ich träume nicht!
Sie wollte schreien, die Angst herausbrüllen, die sie plötzlich
gepackt hatte, aber ihre Kehle war wie zugeschnürt, und ihre
Brust fühlte sich an, als läge eine tonnenschwere Eisenplatte
darauf – so schwer, dass sie kaum noch atmen konnte.
Die Schritte kamen näher.
Der Nebel wurde dichter, wirbelte um sie herum, ließ sie
schwindelig werden, nahm ihr die Sicht, bis sie die Zeiger des
Weckers nicht mehr sehen konnte.
Arme reckten sich aus dem Nebel.
Ein knochiger Finger kam direkt auf ihr Gesicht zu.
Ein anderer Finger, krumm und geschwollen, berührte ihre
Haut, der abgebrochene Fingernagel hinterließ eine glühende
Spur, als er über ihre Wange kratzte.
Sie versuchte zurückzuweichen, wusste aber, dass es kein
Entkommen gab.
Der krumme Finger entfernte sich von ihrem Gesicht und
griff nach der Bettdecke, die sie unter dem Kinn
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher