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Mitten in der Nacht

Mitten in der Nacht

Titel: Mitten in der Nacht
Autoren: Nora Roberts
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Gesicht in die weiche Biegung des Babynackens. »Ich lerne zu reden, wie sie reden, mich zu kleiden, wie sie sich kleiden. Aber ich werde nie so denken, wie sie denken. Doch Lucian zuliebe benehme ich mich so, wie sie sich benehmen, jedenfalls nach außen hin, wenn man es bemerkt.«
    Zufrieden rubbelte sie den Rücken des Babys und schaukelte weiter. Als sie aber schwere Schritte auf der Treppe hörte, die sich stolpernd nach oben bewegten, erhob sie sich rasch. Sie schlang ihre Arme schützend um das Baby, als sie auf das Bettchen zuging.
    Sie hörte Julian eintreten und wusste, ohne ihn anzuschauen, dass er betrunken war. Er war fast immer betrunken oder stand kurz davor.
    Abby sagte nichts. Sie legte das Baby in die Wiege und streichelte Marie Rose zur Beruhigung, als diese zu wimmern anfing.
    »Wo ist das Kindermädchen?«, herrschte er sie an.
    Abby wandte sich ihm noch immer nicht zu. »Ich möchte dich nicht hier haben, wenn du getrunken hast.«
    »Erteilst wohl jetzt Befehle?« Er sprach unartikuliert und hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Aber seine Gedanken waren klar. Er war davon überzeugt, dass Alkohol ihm half, einen klaren Kopf zu bekommen.
    Und wenn es um die Frau seines Bruders ging, war für ihn alles klar. Wenn Lucian etwas hatte – und war eine Frau denn etwas anderes als ein Ding? –, dann wollte Julian es auch haben.
    Sie war klein, fast zerbrechlich gebaut. Aber sie hatte gute, kräftige Beine. Er konnte dort, wo der Feuerschein aus dem Kamin des Kinderzimmers durch ihr dünnes Nachtgewand schimmerte, deren Umrisse erkennen. Diese Beine würden sich genauso leicht um ihn schlingen, wie sie das bei seinem Bruder taten.
    Ihre Brüste waren fest und prall, praller noch, seit sie die Kleine hatte. Einmal hatte er sie mit der Hand berührt, und sie hatte ihn dafür geohrfeigt. Als hätte sie ein Recht zu bestimmen, wer sie berührte.
    Er schloss die Tür hinter sich. Sein Appetit war durch die Hure, die er sich heute Abend gekauft hatte, nur noch heftiger geworden. Es war Zeit, ihn zu stillen.
    »Wo ist die andere Bayou-Schlampe?«
    Abbys Hand ballte sich zur Faust. Jetzt wandte sie sich um, stellte sich mit ihrem Körper schützend vor die Wiege. Er sah Lucian so ähnlich, aber die Härte, die er ausstrahlte, fehlte bei Lucian. Julian hatte etwas Dunkles, Bedrohliches.
    Sie fragte sich, ob an den Worten ihrer grand-mère was dran sei. Dass sich nämlich bei Zwillingen die Charakterzüge gleich im Mutterleib aufteilen. Einer bekommt die guten, der andere die schlechten.
    Sie wusste nicht, ob Julian schon verdorben auf die Welt gekommen war. Aber sie wusste um seine Gefährlichkeit, wenn er betrunken war. Höchste Zeit, er erfuhr, dass auch sie gefährlich war.
    »Claudine ist meine Freundin, und es steht dir nicht zu, so über sie zu reden. Geh hinaus. Du hast nicht das Recht, hier hereinzukommen und mich zu beleidigen. Dieses Mal wird Lucian davon erfahren.«
    Sie sah, wie sein Blick von ihrem Gesicht abwärts glitt, verfolgte, wie sich die Lüsternheit in seine Augen schlich. Schnell zog sie ihren Morgenmantel über die Brust, die vom Stillen noch halb entblößt war. »Du bist abscheulich. Cochon! Mit deinen lasterhaften Absichten auf die Frau deines Bruder ein Kinderzimmer zu betreten!«
    »Hure des Bruders.« Er glaubte ihre Wut und ihre Angst jetzt riechen zu können. Ein berauschender Duft. »Wenn ich fünfzehn Minuten eher zur Welt gekommen wäre, hättest du für mich die Beine breit machen müssen. Aber meinen Namen hättest du nicht an dich gerissen, wie du seinen an dich gerissen hast.«
    Sie reckte ihr Kinn vor. »Ich sehe dich gar nicht. Keiner tut das. Neben ihm bist du nichts. Ein Schatten, ein Schatten, der nach Whiskey und Bordell stinkt.«
    Sie wollte weglaufen. Er machte ihr Angst, hatte ihr von jeher Angst gemacht, eine Art Urangst in ihr geweckt. Aber sie würde es nicht riskieren, ihn mit dem Baby allein zu lassen. »Wenn ich Lucian davon erzähle, jagt er dich weg.«
    »Er hat keine Macht hier, das wissen wir doch alle.« Er näherte sich, pirschte sich an wie ein Jäger im Wald. »In diesem Haus hält meine Mutter das Zepter in der Hand. Ich bin ihr Liebling. Daran ändert auch der Zeitpunkt der Geburt nichts.«
    »Er wird dich wegschicken.« Ihr brannten die Tränen in der Kehle, weil sie wusste, dass Julian Recht hatte. Josephine war die Herrscherin von Manet Hall.
    »Lucian hat mir einen Gefallen getan, indem er dich heiratete.« Er sprach jetzt mit träger,
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