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Mitten in der großen Krise. Ein »New Deal« für Europa (German Edition)

Mitten in der großen Krise. Ein »New Deal« für Europa (German Edition)

Titel: Mitten in der großen Krise. Ein »New Deal« für Europa (German Edition)
Autoren: Stephan Schulmeister
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2007).
Daraufhin stürzten sich die Geldvermehrer auf Rohstoffderivate, der letzte große Bubble setzte ein, die Preise von Rohöl, Weizen, Mais, Reis und sonstigen Rohstoffen explodierten (Abb. 2, S. 29, Abb. 5, S. 42, Abb. 6, S. 48).
    Im Sommer 2008 verschärfte sich die Kreditkrise dramatisch, die Banken liehen einander kein Geld mehr, als Folge stieg der für die Weltwirtschaft insgesamt wichtigste Zinssatz, der LIBOR (der Dollarzins für Interbankkredite in London), drastisch an. Nachdem der Staat die Investmentbank Merril Lynch sowie die Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac gerettet hatte, wollte man bei Lehman Brothers ein Exempel statuieren und ließ diese Bank pleite gehen.
    Am nächsten Tag wäre der größte US -Versicherungskonzern, AIG , ebenfalls in Konkurs gegangen. Denn er hatte für Schulden von Lehman die Haftung übernommen, und zwar durch Credit Default Swaps ( CDS s). Mit einer solchen »Wette« garantiert eine Partei A gegen eine Prämie einer Partei B die Einbringlichkeit einer Forderung gegenüber einer Partei C. Partei B muss dafür keinesfalls selbst eine Forderung gegen C haben, sie wettet einfach, dass C pleite geht (»naked CDS« ) – man schließt gewissermaßen eine Feuerversicherung auf das Haus des Nachbarn ab und hat daher ein Interesse daran, dass dieses abbrennt. Das Volumen dieser Swaps war auf etwa 65.000 Milliarden Dollar angeschwollen. Die Furcht vor einem Zusammenbruch des gigantischen Kartenhauses löste Panik auf den Aktienmärkten aus.
    Abb. 2: Rohstoffpreise
    Kredite an Emerging Market Economies (Entwicklungsländer) sind zu einem großen Teil Dollarkredite, deren Verzinsung an den LIBOR gebunden ist (plus Aufschläge). Durch den Anstieg des LIBOR und die Aufwertung des Dollar hatten sich die Kosten dieser Kredite dramatisch erhöht. Dies ließ gemeinsam mit dem Zusammenbruch der Rohstoffpreise die Importnachfrage dieser Länder massiv schrumpfen.
    In Osteuropa kam zur Aufwertung der Auslandsschulden eine Aufwertung von Inlandsschulden: In diesen Ländern haben Banken an Unternehmen und Haushalte Fremdwährungskredite vergeben. Deren reale Last stieg durch die massive Abwertung aller osteuropäischen Währungen enorm und verstärkte den »Fäulnisprozess« der Kredite.
    Ab Mitte 2008 verfielen gleichzeitig Immobilienpreise, Aktienkurse und Rohstoffpreise, und zwar teilweise schneller als nach dem Schwarzen Freitag im Oktober 1929. Dieser Entwertungsprozess ließ gemeinsam mit dem Verfall der Immobilienpreise große Teile des Vermögens von Haushalten, Unternehmen, Banken und Entwicklungsländern wegschmelzen, er stellte das dynamische Epizentrum des »Finanz-Tsunami« dar (Abb. 10, S. 67).
    Der wichtigste Beschleunigungsfaktor des Entwertungsprozesses war die Spekulation auf fallende Aktienkurse und Rohstoffpreise auf den Derivatmärkten: Hedge Funds, Banken und sonstige »Systemspieler« gingen Short Positions ein (meist durch Verkauf von Futures). Die Exekution der Verkaufssignale trieb die Kurse nach unten. Das Geschäft war enorm profitabel: Die Performance von Hedge Funds, die auf Trend following Trading Strategies spezialisiert sind, war noch nie auch nur annähernd so hoch wie 2008 (Schulmeister, 2009C).
    Die enorme Entwertung des Vermögens der privaten Haushalte (für die USA : Abb. 10, S. 67) sowie des von den Banken, Versicherungen, aber auch von Industriekonzernen akkumulierten Finanzvermögens dämpften die Konsumnachfrage und ließen die Investitionen der Unternehmen massiv einbrechen. Gleichzeitig ging auch die Importnachfrage der rohstoffproduzierenden Länder dramatisch zurück.
    Generell waren vom Rückgang der Nachfrage jene Güter am meisten betroffen, deren Anschaffung relativ kostspielig ist und leicht verschoben werden kann (Wohnbau, Investitionsgüter, dauerhafte Konsumgüter, insbesondere Pkw). Dementsprechend brachen Welthandel und Industrieproduktion ab Herbst 2008 bei Weitem am stärksten ein.
    Die Wirtschaftspolitik reagierte auf die Krise mit massiven Rettungspaketen für die Banken und (einige große) Versicherungen. Auf die Losung »Lassen wir unser Geld arbeiten!« folgte »Lasst uns unser Geld retten!«. Zusätzlich wurde eine extrem expansive Geld- und Fiskalpolitik praktiziert.
    Die Politik hat also auf die Krise so reagiert, wie sie 1929 hätte reagieren sollen. Doch die Welt ist heute eine andere: Unter finanzkapitalistischen Rahmenbedingungen wirken primitiv-keynesianische Maßnahmen in vielen Fällen nur schwach oder sind
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