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Mitte der Welt

Mitte der Welt

Titel: Mitte der Welt
Autoren: Ursula Priess
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Europäischen mit ihrem Rühr-mich-nicht-an-Verhältnis zum eigenen Körper!
    Eine andere sagte: Schon möglich, dass sie die aus Europa besonders walken.
    Oder, sagte eine dritte, die können sich nicht in die Hände der massierenden Person geben, nicht verwunderlich also, dass es ihnen zur Tortur wird!
    Ob eine bereit sei, mich in die Kunst dieser Art von Hingabe einzuweihen.
    Wieder lachten sie alle; und eine sagte, sie würde lieber zu Hause duschen und sich pflegen.
    Ob es heute nicht mehr üblich sei, unmodern sozusagen.
    Einige nickten, andere lächelten.
    Nein, unmodern nicht, sagte S., nur eben dass für uns nicht diese prickelnde Exotik damit verbunden ist. Hamam , auch das ist doch eines dieser Bilder, die sie sich in Europa machen vom »Orient« – gleich nach Harem kommt Hamam , faszinierend und schaurig zugleich, ist es nicht so!
    Die Frau, die neben mir saß, legte ihre Hand auf meinen Arm: Hör nicht auf sie! Ihre Zunge ist scharf, insbesondere gegen Europa.
    S. lachte ihr herrisches Lachen und gab zurück: Wer kennt Europa besser, du oder ich? Und zu mir gewandt: Die europäischen Menschen, sie lieben es, sich im »Orient« zu spiegeln, stimmt’s etwa nicht?
    Ich nickte und versuchte zu lächeln; und fragte, wer heutzutage, außer Touristen, noch ins Hamam gehe, ob jene, die zu Hause kein Bad hätten.
    Nicht unbedingt. Manche mögen es und gehen hin. Die meisten aber haben einfach nicht die Zeit, einen halben Tag auf der faulen Haut zu liegen.
    Wieder fasste mich die neben mir am Arm: Oft ist es auch sehr schmutzig im Hamam, glaub mir, das Hamam ist nichts für dich!
    Eine, die bis jetzt zum Hamam geschwiegen hatte, sagte nun, sie jedenfalls gehe oft ins Hamam, besonders im Winter möge sie es, ganz und gar aufgeweicht und durchgewärmt und -geknetet zu werden. Und den Winterdreck, den du mit Duschen allein ja nie ganz weg bekommst, Ruß und Kohlenstaub und was sonst noch alles dir in den Poren sitzt, wirst du wirklich los. Ich kann dich mal mitnehmen. Nächsten Samstag zum Beispiel könnten wir gehen, am Freitagabend telefonieren wir.
    Am Freitagabend rief ich sie an, wann wir uns wo treffen sollten.
    Leider passe es ihr dieses Wochenende nun doch nicht, aber nächstes ganz bestimmt.
    Am nächsten Freitag rief ich wieder an – warum sollte ich nicht anrufen, wir waren ja verabredet!
    Tue ihr leid, dass ich so fest damit gerechnet hätte; beruflich müsse sie für zwei Tage nach Ankara, völlig überraschend, aber ganz bestimmt würde sie mich mitnehmen, wenn sie nächstes Mal ins Hamam gehe, kommende Woche vielleicht, sie rufe mich an.
    Sie rief nie an.
    Auch ich rief nicht mehr an.
    Und so bin ich Hasenfüßige aus Angst, dass mir mein seidiges Fell über die Ohren gezogen würde, bis heute nicht im Hamam gewesen und weiß noch immer nicht, wie wohl oder weh es tut. Aber ich weiß: Ein Wort ist ein Wort ist nur ein Wort, und was ist schon ein Wort von gestern angesichts von heute!

PLAUDERN AUF DEUTSCH
    Hoch oben im achtzehnten Stock vom Marmara Hotel, mit Panoramablick über das stumpfgraue Häusermeer und die in winterlicher Sonne glitzernden Wasser von Bosporus und Goldenem Horn, sitzen wir, Frauen unterschiedlichen Alters, und feiern Advent mit Filterkaffee, Frucht-Sahnetorten und Geplauder – auf Deutsch.
    Neben der deutschen Sprachherkunft ist uns fast allen gemeinsam: die Liebe zu dieser Stadt mit ihren vielen verschiedenen Menschen.
    Die meisten der Frauen sind verheiratet hier, verlobt, verliebt oder sonst wie gebunden in aus- oder inländischen Diensten, manche seit langem, eine schon seit über vierzig Jahren. Heute Nachmittag aber haben wir uns freigenommen, von was auch immer.
    Immer an Weihnachten habe sie Heimweh, sagt eine der Frauen, das ganze Jahr über nicht, aber wenn Weihnachten nahe, müsse sie an zu Hause denken.
    Verständnisvoll nicken einige am Tisch. Ich nicke mit und frage nicht: zu Hause wo? Sondern, was auch sie mich fragen: wie viele Kinder, welcher Beruf, seit wann und so weiter.
    Später singen wir Advents- und Weihnachtslieder, ein Lied nach dem anderen, sämtliche Strophen durch, die ganze fotokopierte Liedersammlung. Natürlich singe ich mit, die meisten Lieder kenne ich – warum sollte ich nicht mitsingen!
    Aber während wir singen, plötzlich doch: Träumst du, oder was ist das hier? Und: Warum gehst du nicht?
    Singen geht nun nicht mehr, aber Gehen auch nicht. Ich flüchte, während immer noch ein Lied gesungen wird und noch eins, in die Rolle der
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