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Mit verdeckten Karten

Mit verdeckten Karten

Titel: Mit verdeckten Karten
Autoren: Alexandra Marinina
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und alles gestanden hatte, begann sie sofort, an zwei verschiedenen Versionen zu tüfteln. In der einen Version war der Mörder derjenige, der gestanden hatte, in der anderen war es ein anderer. Vielleicht war das Geständnis erkauft, vielleicht sollte es einen nahestehenden Menschen schützen, vielleicht stand Erpressung dahinter oder eine vorübergehende geistige Verwirrung. Es konnte zig Gründe dafür geben, warum ein Ziegel, der sich vom Dach gelöst hatte, nicht nach unten fiel.
    3
    Gegen Mittag erschien Jura Korotkow in Nastjas Büro, sein Gesicht war grau vor Müdigkeit nach dem vierundzwanzigstündigen Dienst.
    »Womit haben wir nur dieses Pech verdient?« sagte er betrübt. Er saß Nastja am Schreibtisch gegenüber und trank in großen Schlucken starken schwarzen Kaffee.
    »Kaum sind wir mit diesem Galaktionow fertig geworden, siehe da, ein neues Geschenk. Das muß ein Aprilscherz sein. Mit diesem Tarassow werden wir lange zu tun haben, das kann ich dir jetzt schon sagen.«
    Nastja nickte verständnisvoll. Erst vor zwei Wochen hatten sie den Mordfall Galaktionow abgeschlossen. Der Ermordete war der Direktor der Exim-Bank gewesen, und die Überprüfung aller Personen, die er gekannt hatte, hatte mehr Zeit verschlungen, als selbst die Polizei erlaubte. Schließlich stellte sich heraus, daß der Mörder gar nicht auf der Liste dieser Personen gestanden hatte. Davon, daß Opfer und Täter miteinander bekannt waren, hatte überhaupt niemand gewußt. Sie hatten sich auf einer Zugfahrt kennengelernt, hatten im Abteil fast einen ganzen Tag und eine Nacht lang Preference miteinander gespielt und sich wieder getrennt, nachdem sie ihre Telefonnummern ausgetauscht hatten.
    »Im Staatlichen Zentrum für Internationale Beziehungen arbeiten dreitausend Leute. Und damit noch nicht genug. In den Hotels wohnen noch einmal genauso viele Gäste. Und vorher hat Tarassow im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums für Maschinenbau gearbeitet, und zwar sehr lange Zeit und in verschiedenen Funktionen. Was ist das für ein Mord? Ein Nachlaß aus Tarassows Vorleben, oder hat er es geschafft, in den fünf Tagen in der Protokollabteilung jemandem auf die Füße zu treten? Ach, Nastja, ich habe keine Kraft mehr, ich sollte bald in Rente gehen. Ach übrigens, dort in der Protokollabteilung, arbeitet eine einstige Studienkollegin von Dir. Du hast dein Juraexamen doch 1982 gemacht, oder?«
    »Ja.«
    »Sie heißt Irina Koroljowa. Erinnerst du dich an sie?«
    »Natürlich erinnere ich mich an Irina. Was machst sie denn? Ist sie Abteilungsleiterin?«
    »Wie kommst du denn darauf?« knurrte Korotkow. »Sie ist eine untergeordnete Sachbearbeiterin.«
    »Ist das die Möglichkeit?« ereiferte sich Nastja. »Sie war doch so begabt. Wie schade, daß sie keine Karriere gemacht hat. Erinnert sie sich auch an mich?«
    »Ich habe sie nicht gefragt.«
    »Warum nicht? Aus Vorsicht?«
    »Man kann nie wissen«, sagte Korotkow und zuckte mit den Schultern. »Sollte sie irgendwie in der Sache drinstecken, würde sie womöglich bei dir angelaufen kommen und Hilfe oder Rat von dir wollen. Es war übrigens sie, die die Leiche entdeckt hat. Und übrigens gab es dabei keine Zeugen.«
    »Übrigens, übrigens«, spöttelte Nastja. »Übrigens läßt sich ein Elefant nicht in einem Sack verstecken. Wenn irgendwas mit ihr nicht stimmt, wird sie alle ihre früheren Kommilitonen auf die Beine bringen, um jemanden zu finden, der bei der Petrowka arbeitet. Hör auf zu unken, erzähl mir lieber, was dort passiert ist. Willst du noch Kaffee?«
    »Nein, später vielleicht. Es war so: Deine Freundin Koroljowa ist laut ihrer eigenen Aussage morgens zur Arbeit gekommen, es war fünf vor neun, und zu ihrer großen Überraschung war die Tür zu ihrem Büro bereits aufgeschlossen. Gewöhnlich kommt Swetlana Naumenko als erste ins Büro, und das nie früher als viertel nach neun. Die Koroljowa kommt ebenfalls immer zu spät, meistens erst gegen halb zehn. Die Chefs trudeln dann so gegen zehn ein. Genauer gesagt, so war es, bevor Tarassow auftauchte. Jurij Jefimowitsch war ein sehr korrekter, disziplinierter Mensch, er stellte die Frauen wegen ihres chronischen Zuspätkommens zur Rede. Eine Institution wie die unsere muß sich genau an die offiziellen Öffnungszeiten halten, sagte er. Wenn da steht, geöffnet von neun bis achtzehn Uhr, dann seid bitte so freundlich und seid um neun da. Sonst werden die Ausländer, die uns aufsuchen, uns für unseriös halten. Die Damen stöhnten
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