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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren
Autoren: Arnon Grünberg
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sieht?«
    [29]  »Auch Wissenschaftler müssen hin und wieder
entspannen.«
    »Entspannen!« Geradezu angewidert spricht er das Wort aus. »Partys, das
ist kein Entspannen. Bei meiner Arbeit entspanne ich mich.«
    Sie schaut ihm nach, während er zu seinem Zimmer geht. Er kann die Tür
nicht gleich öffnen. Schon zweimal hat er es versucht,
und immer noch geht sie nicht auf.
    Lea wartet nicht ab, bis es ihm gelingt.

[31]  II
    Provokation

[33]  1
    Wenn Violet keine Lust mehr auf etwas hat, auf Leute, auf ein
Gespräch, auf eine Party, wenn sie aus irgendeinem Grund wegwill, sagt sie immer:
»Ich muss jetzt zum Yoga.«
    Es gibt Momente, in denen diese Behauptung nicht sonderlich glaubwürdig
ist. Dann hat sie die Variante: »Ich muss ins Bett, morgen früh raus.« Das klingt
vielleicht nicht besonders leidenschaftlich, doch Leidenschaft muss man nicht vorgeben, Leidenschaft
muss man empfinden.
    Sie ist nun mal keine Nachteule. Zwei Uhr ist ihr spät genug. Sie tanzt
gern, aber nicht bis in die Puppen.
    Sie hat sich schon einmal vorgestellt, wie es wohl wäre, wenn jemand
sagen würde: »Ich komme mit.« Doch das hat noch keiner getan. Und so schlimm wäre
es auch wieder nicht, denn dann könnte sie immer noch antworten: »Heute passt’s
nicht so gut. Vielleicht ein andermal.«
    Ihr Bett steht am Fenster. Wenn sie sich aufsetzt, kann sie eine Amsterdamer
Wohnstraße sehen, an der Ecke ein Spielplatz. Sie mag die Aussicht. Sie liebt die
Innenstadt.
    Manchmal tanzt sie in ihrem Zimmer vor dem Spiegel, obwohl sie sich darin
nur knapp sehen kann.
    Sie hat dunkelblondes Haar, hellblond gefärbt. Sie hat einen starken
Haarwuchs, nicht nur auf dem Kopf. Hin und wieder rasiert sie sich ein bisschen,
aber den völligen Kahlschlag lehnt sie ab. Sie ist kein kleines Mädchen.
    [34]  Über einem Buch ist sie eingeschlafen. Murakami, Mister Aufziehvogel . Sie hat es von zwei Freundinnen zum Geburtstag
bekommen. Geizige Freundinnen, zwei für ein Buch! Violet mag Murakami, nur dummerweise
ist das Buch ziemlich dick. Man kann es schlecht unterwegs lesen.
    Neben Murakami liegt ihr Handy, und daneben ihr Teddybär. Eine Zeitlang
fand sie sich zu alt für Meneer Bär, den sie seit ihrem sechsten Lebensjahr hat.
Als sie anfing zu studieren, wanderte der Bär auf den
Speicher, doch irgendwann in der Mitte des Studiums tat diese Entscheidung ihr leid,
und sie befreite ihn aus seiner Plastiktüte. Seitdem schläft
er wieder neben ihr, wie eh und je.
    Allerdings muss er dringend operiert werden. Auf dem Rücken hat er ein
kleines Loch, durch das langsam die Füllung davonrieselt, doch Violet ist zu beschäftigt, sich darum zu kümmern. Um einen Puppendoktor zu suchen,
fehlt ihr die Zeit, und es selber zu machen, hält sie
für keine gute Idee. Das ist Arbeit für einen Fachmann. Sobald es im Büro etwas
ruhiger wird, will sie sich nach einem Puppendoktor umsehen. Manchmal sagt sie zu
Meneer Bär: »Bald wirst du operiert, keine Sorge.«
    Bis auf weiteres hat sie für solch eine Aktion zu viel zu tun.
    Sie ist vom Klingeln ihres Handys aufgeschreckt. Während sie das Gespräch
annimmt, ist sie noch gar nicht ganz da. »Hmmm«, macht sie. Und noch einmal: »Hmmm.«
In ihrem Traum klang das Telefon wie ein Wecker, und erst als sie zu sich kommt,
murmelt sie: »Hallo!?«
    Sie merkt, dass sie mit dem Gesicht auf ihrem Buch [35]  eingeschlafen war.
Sie schiebt es beiseite. Mit einem Knall landet es auf dem Boden.
    Auch das ist der Nachteil von dicken Büchern. Sie machen Krach, wenn
sie runterfallen, und wecken die Nachbarn.
    »Ach, du bist’s«, sagt sie. »Ich dachte,
du wärst der Klempner.«
    »Warum denn das?«, fragt Roland.
    »Ich dachte, du kämst, um die Toilette zu
reparieren.«
    Sie brummt vor sich hin, um wach zu werden.
    »Die Toilette reparieren?«
    »Ich hab von einem Klempner geträumt. Morgen kommt der Klempner. Die
Toilette ist verstopft. Wo bist du, Liebster?«
    »Auf meinem Hotelzimmer«, sagt Roland. »Seit wann ist die Toilette verstopft?«
    »Seit heute Nachmittag. – Wie war’s?«
    »Es war okay«, sagt Roland.
    »Haben sie sich gefreut?«
    »Gefreut? Worüber?«
    »Über deinen Vortrag.«
    »Ja, ich glaub schon.«
    Sie seufzt. Sie dreht sich auf den Bauch.
    »Ist das alles?« Jetzt ist sie hellwach. Als sei es schon Morgen, Zeit
aufzustehen, um aufs Rad zu steigen und ins Büro zu fahren.
    Manchmal wälzt sie sich die ganze Nacht über schlaflos hin und her. Dann
denkt sie an ihre Arbeit, an ihren Freund.
    »Ja.
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