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Mit geschlossenen Augen

Mit geschlossenen Augen

Titel: Mit geschlossenen Augen
Autoren: Melissa Panarello
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    »Ich möchte mit dir schlafen, Daniele«, sagte ich in einem Atemzug und mit glühenden Wangen.
Er lachte laut hinaus, so laut, dass er kaum noch Luft bekam. »Was willst du? Komm schon, Kindchen! Du kannst mir ja noch nicht
mal einen blasen!«
    Ich hab ihn völlig entgeistert angestarrt und fühlte mich total gedemütigt; am liebsten wäre ich im Erdboden seines gepflegten Gartens versunken und dort unten verfault, auf dass er bis in alle Ewigkeit auf mir hätte herumtrampeln können. Stattdessen habe ich ihm ein wütendes »Arschloch!« ins Gesicht geschleudert, bin weggerannt und habe das Gartentor hinter mir zugeknallt, bevor ich, tief in der Seele und im Stolz getroffen, mit meinem Mofa davonbrauste.
    Ist es denn so schwierig, geliebt zu werden, Tagebuch? Ich dachte, es reicht nicht, dass ich seinen Saft getrunken habe, um von ihm geliebt zu werden, ich dachte, dazu müsste ich mich ihm völlig hingeben, und jetzt, wo ich so weit war, ja sogar Lust dazu verspürte, lacht er mich aus und jagt mich so gemein davon. Was soll ich tun? Ihm meine Liebe gestehen kommt nicht in Frage. Aber ich könnte ja versuchen, ihm zu beweisen, dass ich sehr wohl fertig bringe, was er mir nicht zutraut; bei meinem Dickkopf gelingt mir das bestimmt ...
3. Dezember 2000 22 Uhr 50
    Heute habe ich Geburtstag, ich werde fünfzehn. Draußen ist es kalt, und heute Morgen hat es in Strömen geregnet. Wir haben Besuch von ein paar Verwandten bekommen, die ich nicht gerade freundlich empfangen habe, was meinen Eltern peinlich war; später haben sie mich dafür geschimpft.
    Das Problem ist, dass meine Eltern nur sehen, was sie sehen wollen. Wenn ich gut drauf bin, sind sie zufrieden und geben sich nett und verständnisvoll. Wenn ich traurig bin, halten sie sich abseits und meiden mich wie die Pest. Meine Mutter wirft mir vor, dass ich den ganzen Tag herumhänge, Begräbnismusik anhöre und mich zum Lesen in mein Zimmer einschließe (sie sagt das zwar nicht mit Worten, aber sehr wohl mit Blicken ...). Mein Vater kann sich schon gar nicht vorstellen, wie ich meine Tage verbringe, und ich habe auch nicht die geringste Lust, es ihm zu erzählen.
    Liebe, das ist es, was mir fehlt, ein offener Blick, dass mir jemand zärtlich übers Haar fährt.
Auch in der Schule war es ein richtig beschissener Tag: zwei Fünfen im Mündlichen (ich habe einfach keine Lust zu lernen) und eine Lateinklassenarbeit. Daniele spukt mir von früh bis spät im Kopf herum, ich träume sogar von ihm; aber ich kann niemandem verraten, was ich für ihn fühle, das würde sowieso keiner verstehen.
Während der Klassenarbeit war unser Klassenzimmer still und dunkel, weil die Sicherung rausgeflogen war. Ich habe Hannibal die Alpen überqueren und die Gänse auf dem kapitolinischen Hügel angriffslustig auf ihn warten lassen, dabei durch die beschlagenen Fenster geschaut und mein mattes, verschwommenes Spiegelbild darin betrachtet: Ohne Liebe ist der Mann nichts, Tagebuch, nichts ... (und ich bin noch nicht mal eine Frau ...).
25. Januar 2001
    Er wird heute neunzehn. Gleich nach dem Aufstehen hab ich mir mein Handy geschnappt, und dann hat es in meinem Zimmer eine Weile nur noch gepiept; natürlich wird er sich für meine Glückwunsch-SMS nicht bedanken, das weiß ich jetzt schon, eher wird er sich darüber kaputtlachen. Und wenn er den letzten Sazt liest, prustet er wahrscheinlich richtig los: »Ich liebe dich, und das ist alles, was zählt.«
4. März 2001 7 Uhr 30
    Seit meinem letzten Eintrag ist es lange her, und fast nichts hat sich geändert; ich habe mich durch die Monate geschleppt und meine Unzufriedenheit mit der Welt schweigend ertragen; um mich herum sehe ich nichts als Mittelmäßigkeit; beim bloßen Gedanken auszugehen, wird mir schlecht. Wohin auch? Und mit wem?
Meine Gefühle für Daniele sind in der Zwischenzeit nur stärker geworden; der Wunsch, ihn zu erobern, ist jetzt übermächtig.
    Wir haben uns seit dem Morgen, an dem ich heulend aus seinem Garten rannte, nicht mehr gesehen, aber gestern Abend rief er mich an und riss mich aus der Monotonie, in die ich versunken war. Ich hoffe bloß, dass er sich nicht verändert hat, dass er noch genauso ist wie an dem Morgen, an dem er mir den großen Unbekannten vorgestellt hat.
    Seine Stimme hat mich aus einem langen, bleiernen Schlaf geweckt. Er wollte wissen, wie es mir so geht, was ich die letzten Monate getrieben hätte, dann fragte er mich lachend, ob mein Busen inzwischen gewachsen sei, und ich
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