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Mit geschlossenen Augen

Mit geschlossenen Augen

Titel: Mit geschlossenen Augen
Autoren: Melissa Panarello
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bisher nie. Wenn im Fernsehen Nacktszenen kommen, schnappt sich mein Vater immer gleich die Fernbedienung und schaltet um. Und als ich diesen Sommer einmal eine ganze Nacht mit einem Jungen aus Florenz zusammen war, der seine Ferien hier bei uns, auf Sizilien, verbrachte, traute ich mich nicht, meine Hand dorthin zu legen, wo seine bereits lag.
Außerdem hätte ich auch mal Lust zu erleben, wie es ist, wenn jemand anders einem Genuss verschafft, nicht immer nur ich selbst, Lust, seine Haut auf meiner Haut zu spüren. Und zu guter Letzt das Privileg, als Erste von all den gleichaltrigen Mädchen, die ich kenne, mit einem Jungen zu schlafen. Warum er mir wohl diese Frage gestellt hat? Ich habe mir noch nie Gedanken darüber gemacht, wie mein erstes Mal sein wird, und werde sie mir wohl auch nie machen, ich möchte es nur erleben und, wenn möglich, eine schöne Erinnerung daran behalten, eine Erinnerung, die mich in den traurigen Momenten meines Lebens begleitet. Ich könnte mir vorstellen, dass es mit Daniele etwas wird, irgendwie spüre ich das.
Gestern Abend haben wir unsere Handynummern ausgetauscht, und heute Nacht, als ich schlief, hat er mir eine SMS geschickt, die ich heute Morgen gelesen habe: »Es war sehr nett mit dir, du gefällst mir echt gut, und ich würde dich gern wieder sehen. Komm morgen zu mir, dann baden wir im Pool.«
19 Uhr 10
     
Ich bin ratlos und aufgewühlt. Die Begegnung mit dem bis vor wenigen Stunden Unbekannten war brüsk, wenn auch nicht gerade ekelig.
    Danieles Ferienhaus ist sehr schön, mit einem großen grünen Garten und tausenden von frischen bunten Blumen. In dem azurblauen Schwimmbecken spiegelte sich die Sonne, und das Wasser war richtig einladend, aber ich habe ausgerechnet heute meine Tage und konnte deshalb nicht baden. So habe ich unter einer Trauerweide an einem kleinen Bambustisch gesessen, ein Glas kalten Tee geschlürft und den andern zugeschaut, wie sie sich im Wasser vergnügten. Er warf mir ab und zu einen lächelnden Blick zu, und ich habe ihn zufrieden erwidert.
    Irgendwann kletterte er dann die Beckenleiter hoch und kam auf mich zu; die Wassertopfen rannen langsam über seinen glänzenden Oberkörper, während er sich mit den Händen das nasse Haar trocken rubbelte und dabei nach allen Seiten winzige Tropfen versprühte.
»Tut mir ja Leid, dass du nicht ins Wasser kannst«, meinte er mit einem
    Anflug von Ironie in der Stimme.
»Kein Problem«, habe ich gesagt. »Dafür sonne ich mich.«
Er nahm mich wortlos an der Hand und stellte mit der andern mein
    kaltes Glas auf den Tisch.
»He, was soll das?«, fragte ich lachend, aber ein bisschen ängstlich. Statt zu antworten, zog er mich zu einer kleinen Treppe und dann etwa
    zehn Stufen hinauf zu einer schmalen Tür; dort schob er den Fußabtreter zur Seite und holte einen Schlüssel darunter hervor; während er ihn ins Schloss steckte und umdrehte, blinzelte er mich mit glänzenden Augen an.
    »He, was hast du mit mir vor?«, fragte ich noch einmal und tat wieder ganz mutig.
Auch diesmal gab er statt einer Antwort nur eine Art stöhnendes Lachen von sich. Dann stieß er die Tür auf, zog mich rein und machte sie hinter mir wieder zu. Durch die Ritzen der Fensterläden drang spärliches Licht in ein Zimmer, das schrecklich heiß war. Daniele stellte mich mit dem Rücken an die Tür und begann mich leidenschaftlich zu küssen, seine Lippen schmeckten nach Erdbeeren und hatten auch eine ganz ähnliche Farbe. Er stemmte sich mit den Händen gegen die Tür, die Muskeln seiner Arme waren angespannt, ich spürte, wie kräftig sie sind, während ich meine Finger über sie hinweggleiten ließ, streichelnd und kribbelnd, wie es mich selbst am ganzen Körper kribbelte. Dann nahm er mein Gesicht zwischen die Hände, löste sich von meinem Mund und fragte mich leise: »Hättest du Lust, es zu machen?«
Ich hab mir auf die Lippen gebissen und Nein gesagt, weil mich plötzlich tausend Ängste überfielen, gesichtslose, abstrakte Ängste. Da hat er die Hände auf meinen Wangen noch fester zusammengedrückt und mich mit einer Kraft, die vielleicht zärtlich wirken sollte, es aber nicht war, immer weiter nach unten geschoben, bis ich jäh mit dem großen Unbekannten konfrontiert war. Jetzt hatte ich ihn vor Augen, er roch nach Mann, und jede Ader, die ihn überzog, drückte eine so überschwängliche Potenz aus, dass ich mich ihr gegenüber verpflichtet fühlte. Ohne lang zu fackeln, drang er zwischen meine Lippen ein und wischte den
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