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Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Titel: Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman
Autoren: Matt Beynon Rees
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darum bemüht waren, sich seinen Stil anzueignen. Keiner wusste, was hinter seinem Einsatz von Licht und Schatten steckte, seine Arbeit mit Spiegeln und Linsen, die Wahl der Modelle aus seinen ärmsten Bekanntenkreisen. Andere Maler hielten dergleichen nur für eine Trickkiste, aus der sich hübsche Dekorationen hervorzaubern ließen. Männern wie Baglione entging, dass das, was Caravaggio machte, abgründig war – dass er die Dinge nahm, die jedermann schon unzählige Male gesehen hatte, die Betrüger in Kneipen und die hübschen, geldgierigen Bengel, die gemarterten Heiligen undsogar den Herrn Jesus, aber er stellte sie so dar, dass man glaubte, sie zum ersten Mal zu sehen.
    «Er hat sich etwas von Eurem Stil abgeschaut, Maestro Caravaggio», sagte der neue Kardinal.
    Sag es bloß nicht, Cazzo mio
, sagte Caravaggio zu sich selbst.
Sag nicht: «Was zum Teufel versteht Ihr denn schon davon?» Wenn sich del Monte die Zeit nimmt, dich vorzustellen, muss es sich um jemand Wichtigen handeln.
«Von meinem Stil?»
    «Ganz recht.» Die Augen des Kardinals glänzten in seinem langen, weichen Gesicht. «Das Licht, das auf die bedeutungsvollsten Einzelheiten des Motivs fällt. Die dichte, intensive Bildschärfe. Das Fehlen eines Hintergrunds. Das sind doch gewöhnlich Eure Kunstgriffe, nicht wahr? Auf denen Euer Ruhm basiert.»
    Meine Ideen, zur Manier erniedrigt für’s schnelle Urteil eines Mannes, der so tut, als sei er ein Kenner
. Caravaggio schloss die Augen.
    Del Monte klatschte in die Hände. «Was haltet Ihr also von meinem neuen heiligen Franziskus?»
    Caravaggio murmelte etwas hinter vorgehaltener Hand.
    «Wie war das doch gleich?», sagte del Monte.
    Caravaggio streckte angeekelt den Arm in Richtung des Gemäldes aus. «Ich sagte, er muss mal gevögelt werden.»
    Del Monte verbarg sein Lächeln hinter der Hand. Der andere Kardinal strich sich mit dem Finger an der Nase entlang. «Ich habe auch schon gehört, dass man von Maestro Baglione sagt, dass er ein keuscher Mann ist, der nicht der Fleischeslust frönt.» Er strich sich mit den Händen über die Brust, um die Aufmerksamkeit auf sein Kardinalsgewand aus rotem Samt zu lenken. «Habt Ihr etwas gegen ein Leben einzuwenden, das sich dem Zölibat widmet?»
    Caravaggio hatte geschminkte Straßenmädchen gesehen, die zerschrammt aus Gassen stolperten, vorwärtsgestoßen von betrunkenen Trupps spanischer Soldaten, und die Mädchen hatten immer noch zölibatärer ausgesehen als dieser Kardinal. «Einderart entsagungsvolles Leben ist eine Sache für einen Mann des Klerus. Aber für einen Künstler? Wie soll man Haut malen, wenn man sie noch nie berührt hat?»
    «Ihr habt doch die Haut unseres Herrn gemalt, wie ich in der Kirche San Luigi gesehen habe. Habt Ihr
die
je berührt? Oder wollt Ihr mir etwa weismachen, dass Ihr sie in Form der heiligen Kommunion geschmeckt habt?»
    «Haut ist Haut. Sei sie nun ein Sack für meine Knochen oder für die unseres Herrn Jesus Christus – oder die von Eurer Durchlaucht.»
    Der Kardinal sah ihn lange genug an, um zu begreifen, dass Caravaggio weder beschämt noch beunruhigt war und den Blick nicht senken würde. «Ein Häretiker. Ich verstehe, warum Ihr mit diesem Kerl so gut zurechtkommt, del Monte.»
    Caravaggios alter Patron zwang sich zu einem Lächeln und verbeugte sich. «Maestro Caravaggio, Eure Anwesenheit wurde von Kardinal Borghese erwünscht.»
    Der Neffe des neuen Papstes, der Mann, der den Vatikan organisiert
. Caravaggio berührte den Puls an seinem Hals, spürte unter seiner Fingerspitze den Adrenalinstoß, war erregt durch die Aussicht, den mächtigsten Kunstliebhaber Roms zu beeindrucken, und zitterte im Gedanken daran, ihn beinahe beleidigt zu haben. Er fiel auf ein Knie. Mit gesenktem Kopf ergriff er die glatte, bleiche Hand, die ihm Scipione aus seiner Soutane entgegenstreckte. Er berührte sie mit den Lippen. Sie roch nach Kalbslederhandschuhen und der grauen Ambra, mit der sie parfümiert wurden.
    «Der göttliche Michelangelo pflegte zu sagen, dass ein mittelmäßiges Kunstwerk niemandem wehtut», sagte Scipione. «Können wir das nicht auch von diesem heiligen Franziskus von Maestro Baglione sagen?»
    «
Mir
tut es weh.»
    «Michelangelos Formulierung war eine Methode, Beleidigungenzu vermeiden. Wie ich sehe, habt Ihr daran kein Interesse. Angesichts eines hervorragenden Kunstwerks pflegte er zu sagen, dass es entweder von einem großen Schurken oder von einem großen Schlitzohr gemalt worden sei.»
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