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Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Titel: Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman
Autoren: Matt Beynon Rees
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sie anlächelte, dass das Mädchen nicht damit rechnete, dass es solchen Zügen möglich sein sollte, entspannt oder fröhlich zu wirken. Seine Zähne schimmerten weiß zwischen dem schwarzen Schnurr- und Spitzbart. An Herkules’ Schulter warf er sich in eine heroische Pose, strich sich mit der Hand durchs lange, gewellte, schwarze Haar, räusperte sich und ahmte den edlen Blick des heidnischen Gottes nach.
    «Wie sehe ich aus?», fragte er.
    Das Mädchen lachte.
    «Wer macht eine bessere Figur? Ich oder dieser Kerl?» Er tätschelte den muskulösen Oberarm der Statue. «Na, sag schon, der hat tausendfünfhundert Jahre unter der Erde gelegen. So schlecht sehe ich doch wohl nicht aus?»
    «Ihr seht aber ein wenig krank aus.»
    «Ach das. Tja, liebes Mädchen, ich war bis spät in die Nacht unterwegs mit Maestro Onorio Longhi, dem namhaften Architekten, und wir hatten viel Spaß.» Er berührte seine Schurrbartspitze mit der Zunge und rieb über die körnige Steinhand des Herkules. «Armer Kerl, seine Glieder aus antikem Marmor erlauben es ihm nicht, die Arme auszustrecken, um die vor ihm liegende Schönheit zu liebkosen.»
    «Das ist ein Jammer.»
    Seine Brauen zogen sich über braun glühenden Augen zusammen, Indischrot leuchtete in rotbrauner Wärme, und er ging auf sie zu. «Aber ich bin kein Held auf einem Podest. Ich darf zupacken.»
    Er ging neben ihr auf die Knie, roch das Wachs auf ihren Händen und den kalten Schweiß in ihrem derben Arbeitskittel, den sie an der Seite hochgeschlagen hatte, um knien zu können. Sie betrachtete ihn weder mit der dümmlichen Verständnislosigkeit eines einfachen Dienstmädchens noch mit der lasziven Vertraulichkeit der Huren aus der Taverna del Moro. In ihren Augen sah er eine stille Schönheit von solcher Ruhe, dass sein Plan, sie zu verführen, ihm für den Moment aus dem Blick geriet und er nicht wusste, was er nun sagen sollte.
    Ein Lakai betrat den Korridor und räusperte sich. «Maestro Caravaggio. Seine Durchlaucht erwarten in der Galerie das Vergnügen Eurer Gesellschaft.»
    «Es ist mir ein Vergnügen.» Der Mann gewann seine Munterkeit zurück und winkte dem Mädchen zu.
    Sie tunkte die Bürste ins Bienenwachs. Er beobachtete ihr Gesicht noch einen Augenblick länger. Es war etwas zu breit, aber ihr Unterkiefer war schmal und verjüngte sich zu einem äußerst zarten Kinn. Ohne aufzusehen spürte sie seinen Blick und lächelte. «Ich habe zu arbeiten. Geht und studiert lieber Seine Durchlaucht.»
    Er ging über die Fliesen, die als Resultat ihrer geleisteten Arbeit glänzten. Als er die Gemächer des Kardinals betrat, sah er sich noch einmal nach ihr um. Während sie sich nach vorn über die Bürste beugte, standen die Sohlen ihrer nackten Füße senkrecht. Sie waren derart mit schwarzen, braunen und grauen Schmutzschichten bedeckt, dass er den Dreck auf der Zunge zu schmecken meinte.
    ∗
    Seit Caravaggios letzten Besuchen der Galerie im Palazzo Madama hatte del Monte seine Sammlung erweitert. Ein spastischer Franziskus von Assisi schmückte nun die Wand nebeneiner Version des gleichen Heiligen von Caravaggio. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raums wandte sich ihm ein unbekanntes Gesicht zu, ein Kardinal, der ihm in Erwartung eines Hofschranzenkusses die Hand hinhielt. Aber Franziskus bannte Caravaggios Blick auf das neue Werk. Der Kopf des Heiligen war nach hinten geworfen, die Augen unter die Schädeldecke verdreht. Die plumpen, kurzen Finger waren gespreizt. Eher schien er sich mitten in einem epileptischen Anfall zu befinden als in der Ekstase, in der man ihn glauben sollte. Ein fetter Cherub deutete auf eine Dornenkrone, aber wie man von dem Heiligen, in seinem gegenwärtigen Zustand, erwarten sollte, zu ihr hinschauen, entzog sich Caravaggio. Es war genau jene unsinnliche Gestik, die er auf Leinwänden so sehr hasste. Dass dergleichen neben seinem eigenen Franziskus hing, stieß ihn ab.
Sein
Heiliger war atemlos, an der Seite von den Stigmata gezeichnet und von einem Engel geleitet, der Anteil an Franziskus’ Erfahrung göttlicher Liebe nahm.
    «Ihr habt meine Neuerwerbung aus dem Atelier Maestro Bagliones bemerkt», sagte del Monte. «Sie ist exquisit, nicht wahr?»
    Caravaggio stieß ein leises, verächtliches Lachen aus.
Ich hätte mir gleich denken können, dass es eine Arbeit des Schwachkopfs Baglione ist
, dachte er. Inzwischen war es schwierig geworden zu sagen, welcher römische Maler ihn im jeweils gegebenen Fall nachgeahmt hatte, weil so viele
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