Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit Blindheit Geschlagen

Mit Blindheit Geschlagen

Titel: Mit Blindheit Geschlagen
Autoren: Christian Ditfurth
Vom Netzwerk:
sein Aussehen und sein Auftreten. Stachelmann fühlte sich noch hässlicher.
    Griesbach grinste. »Sie denken da an seinen Durchbruch im Historikerstreit?«
    Stachelmann musste lachen. »Ihr geheimes Spezialgebiet ist offenbar die Militärgeschichte.«
    »Gewiss, aber nur solange es um das Gemetzel unter Kollegen geht. Und Kolleginnen natürlich.«
    »Denken Sie da an Ihre Frau?« Es rutschte Stachelmann heraus.
    Griesbach lachte. Er hatte ein offenes Lachen. »Die darf zurzeit nicht mitmetzeln. Hat sich an der FU, dann an der Humboldt von Zeitvertrag zu Zeitvertrag gehangelt. Aber mit einer Festanstellung wurde es nie etwas. Dabei ist sie spezialisiert auf die SED, man sollte doch denken, dafür gebe es Bedarf. Aber Berlin ist pleite.«
    »Dann ist sie jetzt arbeitslos. Haben Sie Kinder?«
    Griesbach schüttelte den Kopf. »Die sind nicht freizeitkompatibel.« Er lachte. »Wir reisen gerne und treiben Sport. Aber das ist natürlich nicht so aufregend wie das, was Sie erlebt haben. Bohming hat mir einiges erzählt. Ich weiß natürlich nicht, ob das alles stimmt. Darf ich Sie mal einladen, meine Frau würde sich auch freuen. Dann müssen Sie uns aber etwas von dieser Holler-Geschichte erzählen.«
    Stachelmann sah sich in der Erinnerung mit Anne in seinem Dienstzimmer, wie sie die Akten filzten. »Ich hatte gehofft, es sei vorbei.«
    Griesbach schaute ihn erschrocken an. »Tut mir Leid, ich wollte nicht aufdringlich sein.« Er erhob sich. »Aber die Einladung steht, über einen Termin sprechen wir noch. Und wenn Sie keine Lust haben, von Ihren Abenteuern zu berichten, dann reden wir über was anderes.« Er winkte Stachelmann freundlich zu und verließ den Raum.
    Stachelmann starrte auf die geschlossene Tür. Es schien ihm, als hätte nichts von dem, was er tat und dachte, einen Sinn. Ihm fielen die alten Leute auf der Beerdigung ein, ihr Hass. Sie trugen dieselbe Lüge mit sich herum wie der Vater. Wir sind nicht schuld, wir haben nur Befehle befolgt, es war unsere Pflicht. Stachelmann überlegte, was geschehen wäre, wenn sein Vater früher darüber gesprochen hätte, von sich aus. Es hätte ihre Beziehung früher zerstört. Ihre beiden Wahrheiten waren nicht zu versöhnen und nicht zu widerlegen. Sie überlappten sich nirgendwo. Ihr Streit hatte sie nicht weitergebracht, sein Vater begriff ihn nicht, so wie er den Vater nicht begriff. Er spürte einen Anflug von Reue. Warum hatte er den Vater bedrängt? Der hätte die Lüge mit ins Grab nehmen können, niemandem hätte es geschadet, und gemessen an den Naziverbrechern gehörte der Vater zu den kleinen Rädchen im Mordgetriebe. Stachelmann überlegte, ob er ungerecht gewesen war. Es wäre nicht mehr gutzumachen. Wenn er nach dem letzten Gespräch an den Vater gedacht hatte, dann im Zorn über die Halsstarrigkeit des Alten.
    Da fielen ihm die Spaziergänge im Sachsenwald ein, er mit seinem Vater. Er hatte ihn mit Fragen gelöchert. Wie groß ist der Mond? Warum wird man schneller müde, wenn man schneller läuft, als wenn man dieselbe Strecke langsam zurücklegt? Warum ist der Himmel blau und nicht rot? Und vielleicht waren es Vaters Geschichten über den Alten von Friedrichsruh im Sachsenwald, den der Kaiser Wilhelm zwo aus dem Amt warf und damit Deutschlands Untergang einleitete. Bismarck war Vaters Held, und eine Weile hielt ihn der Sohn für einen Riesen, der jeden Augenblick im Wald vor ihnen stehen konnte. Im Sachsenwald setzte der Vater die Wurzel für die Geschichtsneugier des Sohns, auch wenn sich die zunächst auf Helden richtete, wie Bismarck einer war oder Schlieffen, der ältere Moltke und Hindenburg. Es dauerte seine Zeit, bis Stachelmann das Reich der Helden verließ, in den Träumen war er daraus nie ganz verschwunden.
    Vielleicht begann er erst mit dem Tod des Vaters zu verstehen, wie der ihn auf einen Weg geführt hatte, ohne führen zu wollen. Als Stachelmann die Quarta besuchte, erklärte er seinem Vater, er wolle später Historiker werden. Der Vater legte die Zeitung weg und lächelte, wie er über die vorherigen Berufswünsche gelächelt hatte. Als Stachelmann die Bilder sah, spürte er einen Kloß in der Kehle.
    ***
    Immer wenn er draußen Schritte hörte, hielt er den Atem an, um vorbereitet zu sein. Aber immer entfernten sich die Schritte wieder, ohne dass jemand die Tür oder die Klappe öffnete; es schien, als hätten sie ihn vergessen. Ab und zu klickte es an der Tür. Unvorbereitet, er hatte niemanden kommen gehört. Er wusste nicht mehr,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher