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Mit Blindheit Geschlagen

Mit Blindheit Geschlagen

Titel: Mit Blindheit Geschlagen
Autoren: Christian Ditfurth
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es ärgerte ihn noch mehr, dass es ihn ärgerte.
    »Reiner Zufall«, sagte Stachelmann, »und schon zwei Jahre her.«
    »Das ist meine Frau Ines«, sagte Griesbach. »Sie ist Kollegin, wenn zurzeit auch ohne Anstellung, oder sollte man besser sagen, Zeitvertrag.«
    Ines lächelte ihn aus braunen Augen an. Sie hatte einen festen Händedruck. Als Stachelmann mit dem Kopf nickte, blieben seine Augen an ihrer Bluse hängen. Sie trug keinen Büstenhalter, die Brustwarzen ragten hervor. Dann merkte er, seine Augen waren einige Augenblicke zu lang hängen geblieben, er schaute auf und spürte, wie er errötete. Sie strahlte ihn an. In ihrem Blick lag ein Einverständnis.
    »Auch ich habe von Ihnen gehört. Vor allem, dass Sie ein Tiefstapler sein sollen.« Sie lachte und warf den Kopf nach hinten.
    »Mit dem Transportwesen habe ich nun wirklich nichts zu tun, auch wenn ich mich mal in etwas eingemischt habe, das mich nichts anging. Genauer gesagt, ich wurde eingemischt.« Er sah im Augenwinkel Horst Lehmann das Zimmer betreten. »Entschuldigen Sie bitte, da kommt der Kollege Lehmann, mit dem muss ich dringend etwas besprechen.«
    »Nur wenn Sie schwören, dass Sie wiederkommen«, sagte sie leise.
    Es berührte ihn. Als er ging, sah er, dass Wolf Griesbachs Augen ihm folgten. Stachelmann glaubte, eine Frage darin zu lesen. Er wechselte ein paar Worte mit Lehmann und ging dann zur Toilette. Dort schaute er in den Spiegel. Er fand sich älter als dreiundvierzig Jahre und hässlich. Die Stirnglatze glänzte, die verbliebenen Haare waren zu früh ergraut. Der Bauchansatz wölbte das Hemd über dem Gürtel. Was konnte eine Frau finden an ihm? Er wusch sich die Hände und ging in sein Dienstzimmer. Was für ein Tag. Am Mittag den Vater beerdigt, am Nachmittag gefaulenzt, dann ein Bild eingesammelt von einer Frau, von dem er wusste, er würde es eine Weile mit sich tragen.
    Er setzte sich wieder an den Schreibtisch. Dann kam der Schmerz, er kroch über die Beine nach oben. Stachelmann streckte den Rücken und durchsuchte seine Taschen nach einer Tablette. In der Jacketttasche fand er eine Diclofenac, er schluckte sie trocken. Es klopfte an der Tür, sie öffnete sich, ohne dass er etwas gesagt hatte. Griesbach guckte durch den Spalt. »Viel zu tun?«, fragte er.
    Stachelmann nickte, er hatte einen Kloß im Hals. Er hatte sich verdrückt vom Empfang, das war ihm peinlich.
    Griesbach blieb in der Tür stehen. »Vielleicht verraten Sie mir demnächst die Geheimnisse?«
    »Geheimnisse?«
    »Was man hier wissen muss als Neuer. Damit ich nicht in Fettnäpfchen tappe. Das ist gewissermaßen mein Steckenpferd, Sie verstehen?«
    Stachelmann musste grinsen. »Dann sind Sie auf diesem Gebiet mein schärfster Konkurrent. Es gibt kein Fettnäpfchen im Philosophenturm, in dem Sie nicht schon Fußabdrücke von mir finden. Kommen Sie rein!« Stachelmann zeigte auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.
    »Was macht Ihre Habil?«, fragte Griesbach.
    Stachelmann änderte seine Sitzposition, um dem Schmerz auszuweichen. »So genau weiß ich das selbst nicht.« Er hatte den Berg der Schande aufgelöst, die Aktenstapel, die gewachsen waren, um Stachelmann noch mehr abzuschrecken. Als er nach Hermann Hollers Hinterlassenschaft in Naziakten suchte, hatte er gemeinsam mit Anne den Berg abgetragen. Inzwischen war der Entwurf seiner Habilitationsschrift zur Geschichte des Konzentrationslagers Buchenwald fertig, die Datei lag auf der Festplatte seines Computers, und er fürchtete sich vor dem, was er geschrieben hatte. Er hatte eine Vorstellung, was er schreiben wollte, aber als es geschrieben war, schien es seinem Maßstab nicht zu entsprechen. Ob die Arbeit schlecht war oder sich seine Ansprüche verändert hatten, er wusste es nicht. Aber er wusste, der Entwurf legte ihn fest, noch einmal würde er es nicht schaffen, eine neue Arbeit war nicht vorstellbar, und so musste er den Entwurf verbessern und fürchten, dass er am Ende nicht zufrieden sein würde. Es half nichts, dass er sich einredete, er sei noch nie zufrieden gewesen mit sich und dem, was er schrieb. Warum sollte es diesmal anders sein? Doch seine Sorgen gingen den anderen nichts an.
    »Bohming hält ja große Stücke auf Sie«, sagte Griesbach. »Große Stücke.«
    Stachelmann stellte sich vor, wie Griesbach seiner Frau die Bluse auszog. »Er übertreibt gerne ein bisschen.«
    Griesbach hatte volles schwarzes Haar, war drahtig, trug eine leichte Brille mit Tönung. Er trieb Sport, das verrieten
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