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Mit Blindheit Geschlagen

Mit Blindheit Geschlagen

Titel: Mit Blindheit Geschlagen
Autoren: Christian Ditfurth
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wieder weg. Sie war nicht schlecht, aber nicht originell.
    Zusammengeschrieben aus Büchern, viele Zitate. Er war ungerecht, er wusste es. Er verlangte zu viel von seinen Studenten und machte sie verantwortlich für seine Langeweile.
    Es klopfte, er dachte an Anne und ärgerte sich. Es war Renate Breuer, die Sekretärin des Historischen Seminars.
    »Sie denken an den Empfang?«, fragte sie.
    Er nickte, Renate Breuer schloss die Tür, nachdem sie ihn einen Augenblick unfreundlich angestarrt hatte. Stachelmann zog die Hausarbeit wieder vor sich, blätterte und schob sie wieder weg. Er verschränkte die Hände hinterm Nacken und rollte mit dem Stuhl ein Stück vom Schreibtisch weg. Dann stand er auf und schaute hinunter auf den Trubel des Von-Melle-Parks. Natürlich dachte er an den Empfang. Professor Wolf Griesbach trat seinen Dienst an, einer, der es fast schon geschafft hatte. Besser C 3 als gar nicht habilitiert. Stachelmann kannte einige Veröffentlichungen des Neuen, auch der beschäftigte sich mit dem Nationalsozialismus. Als Professor ohne Lehrstuhl besaß er alles, was einer haben musste, der eines Tages Hasso Bohming nachfolgen würde, dem Sagenhaften, wie er am Seminar genannt wurde, weil er so blumig berichtete von seiner Beteiligung an all den Historikerschlachten. Er war ein Angeber, aber kein schlechter Kerl. Einer, der es gut meinte mit Stachelmann und doch Griesbach geholt hatte aus Berlin. Stachelmann nahm sich vor, kein schlechtes Wort zu sagen über den Neuen. Griesbach war offenbar gründlich und zurückhaltend, hatte ein gutes Urteilsvermögen, das musste er einräumen. Der hatte erreicht, was Stachelmann anstrebte. Stachelmann erinnerte sich an einen Aufsatz Griesbachs in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte, der ihn beeindruckt hatte. Neid keimte in ihm, er mühte sich, ihn wegzuwischen. Ganz gelang es nicht. Er stritt mit sich, erklärte sich seinen Neid mit dem eigenen Versagen. Warum hatten es andere leichter? Weil du es dir selbst schwer machst. Dann fiel ihm die Beerdigung wieder ein. Was bist du für ein Mensch? Dein Vater wurde gerade beerdigt, und du denkst nur an dich. Die Trauer ließ sich immer noch nicht blicken. Vielleicht lag es daran, dass er seinen Vater schon vor zwei Jahren verloren hatte.
    Als er in Bohmings Dienstzimmer kam, waren die anderen schon da. Ostermann, zurzeit Bohmings Lieblingsassi, machte auf Kellner. Er hatte sich einen devoten Blick zugelegt und verbeugte sich pausenlos. Mit gespielter Eleganz jonglierte er mit einem Tablett Sekt und Orangensaft. An der Wand waren auf einem langen Tisch Schnittchen mit Fleisch und Fisch ausgelegt, der Neue gab sich spendabel. Stachelmann entdeckte einen Mann, der dem Eingang den Rücken zukehrte, das musste Griesbach sein. Er stand vor Bohming, und der hörte zu. Neben Griesbach sah Stachelmann eine schlanke Frau mit dunkelbraunen Haaren, einem kurzen Rock und langen Beinen. Sie verfolgte das Gespräch zwischen Griesbach und dem Sagenhaften. Stachelmann kannte sie nicht. In einer Ecke entdeckte er Anne im Gespräch mit dem schönen Kugler, der sich mal wieder eingeschlichen hatte von den Politologen, wo er hingehörte und, ging es nach Stachelmann, hätte bleiben sollen. Rolf Kugler war immer auf der Suche nach Frauen, alle witzelten darüber. Kugler kümmerte es nicht und widmete sich seiner Mission mit erstaunlichem Erfolg. Stachelmann ärgerte sich, dass Anne mit ihm sprach. Er schaute weg, aber nicht schnell genug, um nicht einen Blick von ihr einzufangen. Er hatte ihren dicken Bauch gesehen. Er hatte sich gemartert, wer der Vater sei, es aber nicht gewagt, jemanden zu fragen. Sie hatte eines Tages Renate Breuer erzählt, sie sei schwanger, und die Sekretärin hatte es herumgetratscht. Wenn man wollte, dass etwas bekannt wurde, musste man es Renate Breuer erzählen.
    Plötzlich stand Ostermann vor ihm mit seinem Tablett.
    »Herr Historienrat wollen doch nicht verdursten an einem so wunderbaren Tag«, sagte er. Stachelmann nahm einen Orangensaft und wusste nicht, wohin er sich stellen sollte.
    Da winkte Bohming plötzlich, rief: »Josef, komm mal her!«
    Er winkte noch einmal.
    Stachelmann stellte sich zu der Gruppe.
    »Das ist Josef Maria Stachelmann, nicht nur ein ausgezeichneter Kollege, sondern auch so eine Art Detektiv«, sagte Bohming mit Öl in der Stimme.
    Stachelmann winkte ab.
    »Ich habe davon gehört«, sagte Griesbach. Er hatte eine sympathische Stimme. Und er sah gut aus. Beides ärgerte Stachelmann, und
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