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Miss Daisy und der Tote auf dem Wasser

Miss Daisy und der Tote auf dem Wasser

Titel: Miss Daisy und der Tote auf dem Wasser
Autoren: Carola Dunn
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getauft, aber alle nennen ihn Cherry.«
    »Ich glaube, den habe ich vor Ewigkeiten mal kennen-
    gelernt. Möglicherweise bin ich ihm sogar mehrmals über den Weg gelaufen. Aber das ist Jahre her.«
    »Sehr wahrscheinlich. Er ist ja praktisch ein Bruder für Patricia. Du wirst ihn gleich beim Tee treffen und seine Mannschaftskameraden auch.«
    »Sind sie nicht schon auf dem Weg hierher?« Beide wandten sie sich um und schauten zum Fluß. Das Boot war nur noch wenige hundert Meter entfernt. Gelassen glitt es stromabwärts auf sie zu, und die Ruderer in ihren weißen Hemden und weinroten Käppis warfen sich in die Riemen. Ihre Stimmen schallten über das Wasser, doch konnte Daisy nicht genau erfassen, was gesagt wurde.
    »Ich muß mich wirklich beeilen, damit ich noch mit diesen Blumen zu Rande komme«, sagte Lady Cheringham. »Geh
    doch mal und begrüß Patricia. Sie ist eigens wegen deiner Ankunft zu Hause geblieben. Das Mädchen neben ihr ist Dottie Carrick.«
    Daisy ging zum Landesteg hinunter. Als Patricia – Tish –
    und ihre Freundin hinter sich Schritte auf dem Kies hörten, wandten sie sich um.
    Tish war ein hübsches blondes Mädchen von zwanzig Jahren, gerade hatte sie Geburtstag gefeiert. In dem blaßblauen 10
    Pikee-Kleid mit dunkelblauer Schärpe an der tief angesetzten Taille kam ihre schlanke Figur bestens zur Geltung und entsprach exakt der Mode dieser Tage: flachbrüstig, ohne eine Spur von Hüften, bemerkte Daisy voller Neid.
    Sie kannte ihre Cousine nicht besonders gut. Sir Rupert Cheringham war im Colonial Service beschäftigt gewesen.
    Sein einziges Kind hatte er von seinem Bruder und seiner Schwägerin erziehen lassen, die beide Dozenten an der Oxford University waren. Zwischen den beiden Dons und Daisys aristokratischer Familie hatte es selten Kontakt gegeben, und wenn, dann nur kurz, obwohl Lady Cheringham die
    Schwester von Daisys Mutter war.
    Für Daisy war Oxford eine Bahnstation auf dem Weg zwischen London und ihrem Elternhaus in Gloucestershire, das jetzt ihrem Vetter Edgar gehörte. Daisys Bruder Gervaise hätte vielleicht in Oxford studiert, wäre der Große Krieg nicht gekommen. Sein Tod hatte die Verbindung dorthin beendet. Und seit ihr Verlobter gestorben war, hatte Daisy kein Interesse mehr an Männern, die sie sonst zu den berühmten Bällen im Mai hätten einladen können. Nach dem Großen Krieg waren die aus der Armee entlassenen Offiziere ja scha-renweise auf die Universitäten gezogen.
    Aber Gervaise und Michael waren schon seit fünf Jahren nicht mehr auf der Welt. Der neue Mann in Daisys Leben hatte seinen Abschluß an der plebejischen University of Man-chester gemacht.
    »Hallo, Daisy«, begrüßte sie Patricia. »Mr. Fletcher hast du nicht mitgebracht? Alec Fletcher ist Daisys Verlobter«, klärte sie ihre Freundin auf.
    »Vor Freitag abend kommt er nicht weg. Er hat ein Zimmer im White Hart gebucht.«
    »Das ist auch gut so. Mutter hätte ihn sonst irgendwo auf dem Dachboden unterbringen müssen. Die Jungs schlafen jetzt schon auf Feldbetten oder teilen sich ein Zimmer. Der Steuermann wohnt im Wäschezimmer, weil er als einziger klein genug ist, um hineinzupassen. Ach, Entschuldigung, du 11
    kennst Dottie noch gar nicht, nicht wahr? Dorothy Carrick, eine Freundin vom College – übrigens ist sie mit Cherry verlobt. Dottie, darf ich dir meine Cousine Daisy Dalrymple vorstellen?«
    Auf Miss Carricks rundem, eher blassem Gesicht thronte eine Brille. Ihre dünnen, glatten, mausig farblosen Haare waren auf das strengste kurz geschnitten. Vom Scheitel bis zur Sohle die sprichwörtliche blaustrümpfige Studentin, dachte Daisy. Das mit großen gelben Zentifolien bedruckte Kleid wirkte an ihrer stämmigen Figur eher unvorteilhaft. Daisy, die selber ständig mit ihren ganz und gar unmodischen Kurven kämpfte, wurde von Mitleid erfaßt.
    »Guten Tag, Miss Carrick«, sagte sie. »Mr. Cheringham rudert beim Rennen mit, nicht wahr?«
    Dottie lächelte. Ihr eher jungenhaftes Grinsen enthüllte glatte und sehr weiße Zähne. »Genau. Im Thames Cup, und auch beim Visitors’ Race – also im Achter und im Vierer ohne Steuermann.« Sie hatte eine wunderschöne, melodische Alt-stimme. »Der Vierer hat heute morgen einen Durchlauf gewonnen. Jetzt warten wir noch, wie es dem Achter ergangen ist. Sie werden über die Regatta schreiben, hat Tish erzählt?«
    »Ja, für eine amerikanische Zeitschrift. Harvard und ein paar andere Universitäten schicken oft Mannschaften her.
    Damit sind die
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