Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mina_Hepsen_03-Unsterblich wie die Liebe

Mina_Hepsen_03-Unsterblich wie die Liebe

Titel: Mina_Hepsen_03-Unsterblich wie die Liebe
Autoren: Mina Hepsen
Vom Netzwerk:
dem sie die Stelle hier angetreten hatte. Aber die Alternative wäre
gewesen, weiterhin in ihrem Heimatdorf zu bleiben. Und das war nicht in Frage
gekommen, unter gar keinen Umständen.
    Außerdem übertrieb
Tabitha. Nell war erst zwanzig, also noch in einem durchaus heiratsfähigen
Alter. Aber sie würde sowieso nie heiraten, selbst wenn sie gewollt hätte.
Dennoch, die Gemeinheit dieser Göre zerrte an ihren Nerven.
    »Tabitha.« Nell holte
tief Luft und bat Buddha und wer auch immer sonst gut in solchen Dingen war um
Gelassenheit. »Du wirst mich Miss Witherspoon nennen, und sei es nur, weil
junge Damen, die keine Manieren haben, überaus schlechte Heiratsaussichten
haben.«
    Das schien Eindruck
zu machen, wie Nell befriedigt feststellte. »Und jetzt hol bitte dein
Geschichtsbuch, damit wir mit dem Unterricht beginnen können.«
    Tabitha ging
schnaubend zu ihrem Bett und nahm ihr Textbuch zur Hand. »Ich weiß, warum Sie
nie geheiratet haben, Miss Witherspoon. Weil
Sie zu viel gelesen haben. Männer mögen keine gebildeten Frauen, das weiß doch
jeder.«
    In solchen
Augenblicken tat die Kleine Nell beinahe leid. Die Dreizehnjährige war ein
typisches Produkt ihrer Zeit. Sie, ebenso wie alle anderen jungen Mädchen, tat
alles, um jeglichen Anschein von Intelligenz zu verbergen, nur um die
lächerlichen Männer, die sich um ihre Hand bemühen könnten, nicht zu
verschrecken. Sie hatte keine Ahnung, dass diese Männer alle Mätressen hatten,
Frauen, die in der Regel ausgesprochen gewandt waren. Was verriet das über die
wahren Bedürfnisse von Männern? Zu Hause eine dumme Frau, die einem den
ersehnten Erben schenkte und daneben eine kluge Mätresse zur geistigen und
körperlichen Anregung. Ha!
    Nells Eltern hatten
ihrem Kind von klein auf die Augen für die Realität geöffnet. Ihr Vater, ein
Schullehrer, hatte ihr Physik, Mathematik und Philosophie beigebracht. Aber vor
allem ihre Mutter, Sky Witherspoon, hatte sie gelehrt, die Menschen so zu
sehen, wie sie waren: engstirnig und voreingenommen. Man hatte ihre Mutter am
Ende für verrückt erklärt, und der Vikar hatte sie als »Verdammte« aus der
Kirche ausgeschlossen. Zwei Wochen später war sie an einem Fieber gestorben.
    »Komm, Tabitha, gehen
wir rauf an die frische Luft, da unterrichtet es sich besser. Na, was sagst
du?«
    Ein Lächeln wollte
sich auf Tabithas Pausbacken breitmachen, doch sie unterdrückte es sofort.
    »Wenn's denn sein
muss«, brummte sie mürrisch und reckte ihr arrogantes Näschen in die Höhe.
    Nell führte ihre
Schutzbefohlene seufzend aus der Kabine und hinauf aufs Deck. Es könnte noch
schlimmer sein, tröstete sie sich dabei. Sie könnte noch in dem Dorf sein, das
am Tod ihrer Eltern schuld war. Sie könnte dem Arzt über den Weg laufen, der
sich geweigert hatte, der »Verdammten« medizinische Hilfe zu leisten, dem
Vikar, der der »Verdammten« ein christliches Begräbnis verwehrt hatte. Und den
Dorfbewohnern, die danebengestanden und nichts getan hatten.
    Sie könnte immer noch
unter jenen Menschen leben müssen, die jede ihrer Bewegungen verfolgt und nur
darauf gewartet hatten, dass sie ähnliche Anzeichen von Irrsinn zeigte, wie
ihre arme Mutter.
    Während ihr Vater vor
Kummer langsam zugrunde ging.
    Aber dort war sie
nicht mehr. Sie hatte den Mädchennamen ihrer Mutter genutzt, um Einlass in die
besseren Kreise von Bath zu erlangen. Sie hatte sich diese Stelle als
Gouvernante verschafft. Und jetzt befand sie sich auf einem Schiff in Richtung
Kontinent, weit, weit weg von ihrem verhassten Heimatdorf.
    »Miss Witherspoon!«
Tabitha klopfte ungehalten mit ihrer Schuhspitze auf das Holzdeck. »Die Stühle
sind ja alle besetzt!«
    Nell ließ den Blick
stirnrunzelnd über das gute Dutzend Passagiere schweifen, das auf den zwanglos
verstreuten Stühlen saß. Dann holte sie tief Luft und konzentrierte sich auf
eine Dame mit einem ausladenden Straußenfederhut.
    »Komm, Tabitha«,
forderte sie das Mädchen auf und zog es auf die junge Frau zu, der sich in
diesem Moment von rechts ein junger Mann näherte.
    »Woher wussten Sie,
dass sie aufstehen würde?«, fragte Tabitha unwirsch, während sie sich in den
Stuhl plumpsen ließ, den die Dame mit dem Straußenfederhut soeben frei gemacht
hatte.
    »Reines Glück«,
erwiderte Nell mit einem abweisenden Lächeln.
    Sie wusste selbst am
besten, wie gefährlich es war, die Leute merken zu lassen, dass sie anders war.
Man würde ihr Irrsinn vorwerfen und sie verdammen.
    »Also, wo waren wir
stehen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher