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Milchfieber

Milchfieber

Titel: Milchfieber
Autoren: Thomas B. Morgenstern
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Jürgen?“, fragte Allmers sofort.
    „Nicht gut“, Irene Hintelmann begann zu weinen, „Die Ärzte sagen, dass sie nicht garantieren können, dass er durchkommt.“
    „So schlimm?“, meinte Allmers.
    „Ich wollte mich bedanken“, Irene Hintelmann hatte aufgehört zu weinen, „für deine Hilfe.“
    „Das war doch selbstverständlich“, wehrte Hans-Georg Allmers ab. „Eure Tochter hat mir geholfen, da ging das ganz zügig.“
    „Sie durfte ja sonst nicht viel helfen, Jürgen ist da etwas eigenartig. Ich habe jetzt eine unverschämte Bitte.“
    Das war mir klar, dachte Allmers, aber er sagte nichts.
    „Kannst du morgen früh noch einmal melken? Meike würde dir wieder helfen, ich will morgens gleich in die Klinik.“
    „Natürlich“, sagte Allmers. „Ich hatte mir das schon vorgenommen. Außerdem glaube ich, dass morgen oder übermorgen eine Kuh kalbt.“
    Irene Hintelmann bedankte sich noch ein zweites Mal und als sie aufgelegt hatte, schüttelte Allmers den Kopf über diese Familie. Der Bauer hatte es tatsächlich geschafft, dass er der Einzige war, der sich mit den Tieren und dem Hof auskannte. Meike hatte ihm während der Arbeit erzählt, dass sie schon als Kind gerne geholfen hätte, ihr Vater aber keine Hilfe gewollt habe. Er habe immer gesagt, sie würde doch alles kaputt machen, sie hätte sowieso zwei linke Hände. Sie habe bis zum heutigen Tag nicht gelernt zu melken oder Schlepper zu fahren. Und ihr großer Bruder habe bei der Berufswahl die Landwirtschaft ausgeschlossen. Er habe keine Lust gehabt, sich mit dem Vater über die Hofnachfolge zu streiten. Er sei jetzt Klempner und schon ausgezogen.
    Allmers kannte noch zwei andere Höfe in seinem Bezirk, wo die Familiensituation ähnlich gelagert war. Die Väter hatten ihren Kindern niemals die Möglichkeit gegeben, sich für die Landwirtschaft zu begeistern. Und heute jammerten sie bei jeder Gelegenheit, dass sich ihre Sprösslinge nicht für den Hof interessieren würden und sie in ein paar Jahren deshalb den Hof aufgeben müssten.
    Um zwölf klingelte das Telefon noch einmal, Allmers hörte im Halbschlaf den Anrufbeantworter anspringen.
    „Hier ist Irene Hintelmann. Entschuldige, aber die Kuh fängt an zu kalben. Ich weiß nicht mehr weiter.“ Dann begann sie zu schluchzen und legte auf.
    Ruf doch den Tierarzt an, dumme Kuh, dachte Allmers und legte sich auf die andere Seite. Eine Minute später stand er auf, setzte sich in sein Auto und fuhr zu Hintelmanns.

Kapitel 3
    Bogota lag auf der Seite, die Kette um ihren Hals schnürte ihr fast die Luft ab und bei jeder Wehe brüllte sie laut. Von dem Kalb waren die Vorderbeine zu sehen, aber es war so groß, dass der Kopf kaum durch den Geburtskanal passte.
    „Habt Ihr einen Geburtshelfer?“, fragte Hans-Georg Allmers das Mädchen, das aufgeregt neben ihm stand.
    Meike sah ihn verständnislos an: „Aber“, stotterte sie, „du bist doch gekommen. Sollen wir noch jemanden anrufen?“
    Allmers seufzte: „Ein Geburtshelfer ist eine mechanische Geburtshilfe, hast du das noch nie gesehen?“
    Meike schüttelte den Kopf: „Ich frage Mama“.
    Sie fanden den Geburtshelfer, ein Hilfsgerät für schwere Geburten, womit man feststeckende Kälber mit wenig Körperkraft aus den Kühen ziehen konnte, unter alten Strohballen in einem dunklen Winkel des Stalls.
    Allmers ließ sich Salatöl aus der Küche bringen, setzte sich neben die Kuh und schmierte den Kopf des Kalbes, der mittlerweile zur Hälfte sichtbar war, damit ein. Vorsichtig steckte er seine Hand in den Geburtskanal, ölte alles ein, versuchte mit der Hand, dem Kopf durch starkes Dehnen ein wenig mehr Platz zu verschaffen, nahm die Hand heraus, zog am Kalb, wartete ein paar Minuten und begann die Prozedur von neuem. Allmählich bewegte sich das Kalb unter dem Schmerzgebrüll der Mutter heraus, aber der entscheidende Wehenstoß blieb aus. Nach einer Stunde harter Arbeit entschloss sich Allmers, den Geburtshelfer einzusetzen. Er befestigte an den beiden Vorderbeinen jeweils einen Strick, verband diese mit der Mechanik des Gerätes und begann vorsichtig den Hebel zu bewegen. Er arbeitete synchron mit den Wehen und langsam schob sich das Kalb heraus.
    Als die Hüfte zu sehen war, musste Allmers nichts mehr machen: das Kalb flutschte ihm förmlich vor die Füße.
    „Reibe es mit Stroh ab“, sagte er zu Meike, „dann legen wir es der Kuh vor das Maul. Sie soll es ablecken.“
    Allmers war hundemüde. Es war viertel nach zwei geworden und er
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