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Meridian - Flüsternde Seelen

Meridian - Flüsternde Seelen

Titel: Meridian - Flüsternde Seelen
Autoren: Amber Kizer
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Und hol Bodie ans Telefon. Oder Sema.«
    »Nicht am Telefon. Das geht nicht. Bitte, Juwel. Ich liebe dich. Ich habe dich immer geliebt. Wir können den Rest unseres Lebens zusammenbleiben. Um die ganze Welt reisen. So, wie wir es damals geplant haben. Erinnerst du dich?« Vor Aufregung überschlugen sich seine Worte. Vielleicht war es aber auch Verzweiflung, so als würde ihm vorgeschrieben, was er zu sagen hatte.
    Ich erinnerte mich an viele Dinge, und wenn ich mehr Selbstvertrauen gehabt hätte, wäre mir vielleicht klargeworden, dass es den kleinen Jungen, der mich einmal geliebt hatte, nicht mehr gab. Dass ich diesen Kirian nicht mehr kannte. »Wo sind Bodie und Sema? Nicole?«
    »Wer ist Nicole?«, gab er zurück.
    »Wo sind sie?« Meine Stimme kippte um.
    »Beruhige dich. Bodie und Sema geht es gut. Du kannst dich selbst davon überzeugen.«
    »Wo?«, entgegnete ich.
    »Folge dem Wildcat Creek vom DG bis zu der Stelle, wo er in den Wabash mündet«, antwortete er.
    »Können wir uns nicht im DG treffen? Oder in dem Café, wo ich mit Ms. Asura war?«, erwiderte ich in der Hoffnung auf einen öffentlichen Treffpunkt.
    »Moment.« Offenbar hielt Kirian die Hand über die Muschel und sprach mit jemandem. Wir wechselten Blicke. Tens und Meridian beugten sich tuschelnd über ihren Zettel. Ich wartete.
    »Nein, du musst mich am Bach treffen, dort, wo er in den Fluss mündet«, sagte Kirian schließlich.
    »Ich will mit Bodie reden«, forderte ich.
    »Juliet, vertrau mir. Ich wollte dir noch nie etwas Böses. Triff dich um Mitternacht mit mir.« Kirian legte auf.
    »Warum um Mitternacht?«, wunderte sich Tens.
    Ich schüttelte den Kopf. Ich wusste ja nicht einmal, welchen Tag wir hatten.
    Meridian lief zum Kalender, der an Rumis Kühlschrank befestigt war. »Sie glauben, dass du morgen Geburtstag hast.«
    »Aber das stimmt nicht«, wandte Rumi ein.
    »Doch das wissen sie nicht.«
    »Wenigstens haben wir ihnen in diesem Punkt etwas voraus«, meinte Tony.
    Wieder läutete Rumis Telefon. Diesmal war es Joi, die meldete, Enid sei aus dem Krankenhaus entlassen worden. Sie werde sie mit zu sich nach Hause nehmen.
    »Wo ist denn das Bad?«, fragte ich. Ich musste mir dringend das Gesicht mit kaltem Wasser waschen, mich sammeln oder weinen. Ganz gleich, was zuerst kam, das andere würde sicherlich nicht ausbleiben.
    »Ich zeige es dir«, sagte Meridian.
    Während ich ihr den Flur entlang folgte, hörte ich, wie die Männer Pläne und Strategien erörterten. Ich fühlte mich, als schwebte ich wie eine Zuschauerin über der Szene.
    Meridian machte Licht und trat zur Seite. Als ich mich über das Waschbecken beugte, erschien mir das Licht sehr grell. Ich hatte Blutergüsse rings um die Augen und einen blutigen Kratzer auf der Wange. Meridian zögerte und wollte sich zurückziehen.
    »Warte.« Ich drehte mich zu ihr um. »Bleibst du bitte?«
    Sie nickte und setzte sich auf den Badewannenrand.
    Ich war noch nie allein gewesen, zumindest nicht wirklich. Es war immer jemand da, der etwas brauchte. Seit Minis und Nicoles Ankunft waren die wenigen Minuten unter der Treppe oder am Bach wundervolle Geschenke gewesen, die ich sehr zu schätzen gewusst hatte. »Ich weiß nicht, wie ich … was ich tun soll.« Ich lehnte mich ans Waschbecken, drehte das kalte Wasser auf und spritzte mir das Gesicht ab, in der Hoffnung, die Kühle könnte die Kopfschmerzen vertreiben.
    Meridian schwieg.
    Ich betrachtete mein Gesicht im Spiegel. Durch die Blutergüsse lagen meine Augen tief in den Höhlen. Mein Haar war schlaff und glanzlos. Meine Haut sah aus, als wäre sie noch nie mit der Sonne in Berührung gekommen. Eigentlich war ich nie eitel gewesen, dafür hatte schon der Überlebenskampf gesorgt, doch mein Äußeres entsprach genau meinen Gefühlen. »Was bin ich noch mal?«
    Sie blinzelte. »Eine Fenestra. Du hilfst den Sterbenden, in den Himmel zu kommen. Ins Jenseits.«
    »Wie?«
    »Wir sind gewöhnliche Menschen, bis jemand stirbt. Dann verwandeln wir uns in ein Licht, das der Sterbende wahrnimmt, und dann geht er durch uns über.«
    »Ich bin also kein Mensch?«
    »Nicht zu hundert Prozent. Es ist wie ein rezessives Gen, das nur greift, wenn man zur Tagundnachtgleiche oder zur Sonnenwende geboren ist. Bis jetzt dachte ich, dass es nur für die Wintersonnenwende gilt, aber vermutlich klappt es an allen Scheitelpunkten und zu jeder Jahreszeit.«
    Allmählich schienen Fragmente meines Lebens einen Sinn zu ergeben. All die Male, die ich die Hand
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