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Menschenjagd

Menschenjagd

Titel: Menschenjagd
Autoren: Stephen King
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den Kopf schoss, schrieb ich einen Satz oder einen möglichen Titel auf ein Stück Papier und klebte es an die Seite des Druckers. Als ich ungefähr drei Viertel von Desperation geschrieben hatte, klebte ein Stück Papier mit einem einzigen Wort darauf am Drucker: Regulator. Ich hatte eine großartige Idee für einen Roman gehabt, etwas, was mit Spielsachen, Schusswaffen, Fernsehen und der Welt der Vorstädte zu tun hatte. Ich wusste nicht, ob ich ihn je schreiben würde – aus vielen dieser »Drucker-Notizen« ist nie etwas geworden -, aber es war definitiv cool, darüber nachzudenken.
    Dann kam mir an einem regnerischen Tag (einem Tag ganz nach Richard Starks Geschmack) noch eine Idee, als ich den Wagen in unsere Zufahrt hineinsteuerte. Ich weiß nicht, woher sie kam; sie hatte nichts mit dem belanglosen Zeug zu tun, das mir zu dieser Zeit durch den Kopf ging. Die Idee bestand darin, die Figuren aus Desperation zu nehmen und sie in Regulator zu versetzen. In einigen Fällen, dachte ich, könnten sie dieselben Leute spielen; in anderen würden sie sich ändern; in keinem Fall würden sie dieselben Dinge tun oder auf dieselbe Weise reagieren, weil die unterschiedlichen Geschichten verschiedene Vorgehensweisen erforderlich machen würden. Es wäre so, dachte ich, als ob die Mitglieder eines Repertoire-Ensembles in zwei verschiedenen Stücken spielten.
    Dann schoss mir eine noch aufregendere Idee durch den Kopf. Wenn ich das Konzept des Repertoire-Ensembles bei den Figuren benutzen konnte, dann konnte ich es genauso gut bei dem Plot anwenden – ich konnte eine ganze Menge der Elemente von Desperation in einer völlig neuen Anordnung arrangieren und eine Art Spiegelwelt erschaffen. Ich wusste, noch bevor ich mich daranmachte, dass viele Kritiker diese Doppelung als Trick bezeichnen würden … und damit lägen sie nicht einmal ganz falsch. Aber, so dachte ich, es könnte ein guter Trick sein. Vielleicht sogar ein erhellender Trick, einer, der die Kraft und die Vielseitigkeit einer Erzählung veranschaulicht, ihre so gut wie grenzenlose Fähigkeit, ein paar Grundelemente in zahllosen erfreulichen Variationen durchzuspielen, ihren spitzbübischen Charme.
    Aber die beiden Bücher durften nicht genau gleich klingen, und sie durften nicht das Gleiche bedeuten, genauso wenig, wie ein Stück von Edward Albee und eines von William Inge gleich klingen und das Gleiche bedeuten dürfen, selbst wenn sie an aufeinanderfolgenden Abenden von den gleichen Schauspielern aufgeführt werden. Wie konnte ich eine andere Stimme erschaffen?
    Zunächst dachte ich, das könnte ich nicht und es wäre am besten, die Idee dem Reuben-Goldberg-Mülleimer anzuvertrauen, den ich in meinem Hinterkopf stehen habe – der mit dem Schild INTERESSANTE, ABER UN-DURCHFÜHRBARE VORHABEN. Dann fiel mir ein, dass mir die Antwort schon die ganze Zeit auf der Zunge lag: Richard Bachman konnte Regulator schreiben. Seine Stimme klang oberflächlich gesehen genauso wie meine, aber darunter bestand ein himmelweiter Unterschied – sagen wir, der Unterschied zwischen Sonnenschein und Regen. Und der Blick, mit dem er seine Mitmenschen bedachte, war immer von meinem verschieden, gleichzeitig lustiger und kälter (Bart Dawes in Sprengstoff, mein Lieblingsroman unter den frühen Bachman-Büchern, ist ein ausgezeichnetes Beispiel).
    Natürlich war Bachman tot, das hatte ich ja selbst bekannt gegeben, aber der Tod ist im Grunde kein großes Problem für einen Schriftsteller – fragen Sie einfach Paul Sheldon, der Misery Chastain für Annie Wilkes wieder zum Leben erweckte, oder Arthur Conan Doyle, der Sherlock Holmes aus den Reichenbach-Fällen auftauchen ließ, als seine Fans im ganzen Britischen Weltreich ihn lautstark zurückforderten. Ohnehin ließ ich Richard Bachman nicht mehr von den Toten auferstehen; ich stellte mir lediglich eine Kiste mit vergessenen Manuskripten in seinem Keller vor, in der Regulator zuoberst lag. Und dann transkribierte ich das Buch, das Bachman schon geschrieben hatte.
    Diese Transkription war ein bisschen zäher … aber sie war zugleich ungeheuer erfrischend. Es war wundervoll, Bachmans Stimme wieder zu hören, und das, was ich mir davon erhofft hatte, geschah tatsächlich: Ein Buch kam zum Vorschein, das eine Art Zwilling des Buchs war, das ich unter meinem eigenen Namen geschrieben hatte (und die beiden Bücher wurden ziemlich buchstäblich direkt hintereinander geschrieben: Das King-Buch wurde genau einen Tag, bevor ich mit dem
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