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Meinen Sohn bekommt ihr nie

Titel: Meinen Sohn bekommt ihr nie
Autoren: Isabelle Neulinger
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meine Nähe gezogen, meine Schwester lebte mit ihrer Familie in Genf, meine Eltern in Annecy, gleich hinter der französischen Grenze.
    Ich nahm mir in Lausanne eine neue Wohnung. Doch der Schock saß tief, und ich sehnte mich nach einem Ort, der nur mir gehörte, der mich nicht ständig an etwas erinnerte. Dabei liebte ich die Stadt, ihre Lage mitten in Europa, die Postkartenlandschaft rundherum, den See, die nahen Berge. Ich hatte einen guten Job in einem internationalen Konzern, ich hatte meine Familie und meine Freunde, die mir eine große Stütze waren, denn tatsächlich gab es auch Menschen, die aus meiner Not ihren Nutzen zu ziehen versuchten.
    Es sollte vier Jahre dauern, bis ich mich wieder aufgerappelt und den Tod meines Mannes überwunden hatte, Jahre, in denen ich viel dazulernte und an deren Ende ich zumindest eine klare Erkenntnis gewonnen hatte: Ich komme auch allein zurecht.

Die Offenbarung
    Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich nichts oder nur wenig von Israel. Vor und nach dem Krieg emigrierten einige meiner Verwandten dorthin, und wir besuchten sie manchmal in den Ferien. Ich erinnere mich an meine Großtante Flor, eine Pionierin, die schon Anfang der dreißiger Jahre auswanderte, an entfernte Cousins, die ich nur flüchtig kannte, an Sommerferienlager, die keinen bleibenden Eindruck hinterließen. Viel weiter reichen meine Kindheitserinnerungen nicht.
    Das sollte sich im Frühjahr 1999 schlagartig ändern. Eine meiner Cousinen, die in Brüssel lebt, fragt mich, ob ich nicht mit ihr verreisen möchte. Wir sind zusammen in Belgien aufgewachsen und stehen uns trotz der Kapriolen, die das Leben so schlägt, und der vielen Kilometer, die uns trennen, sehr nah. Schon lange wollen wir zusammen Urlaub machen, doch immer kommt irgendetwas dazwischen. Dieses Mal finden wir tatsächlich eine freie Woche im Juni, und aufgeregt wie zwei Teenager spielen wir alle möglichen Urlaubsziele in der Sonne durch. Griechenland, Türkei, Spanien? Warum nicht Israel? «Wie wär’s mit Eilat?», schlägt meine Cousine vor. Eilat liegt im Süden, am Roten Meer. Ich kenne den Ort nicht, meine Cousine war auch noch nie dort, aber die Fotos in den Katalogen sprechen für sich: türkisblaues Wasser, Sonne, ein Paradies für Taucher. Wir sind uns sofort einig: Eilat soll es werden.

    Bereits kurz nach der Ankunft, auf dem Weg in unser Klubhotel, macht sich Enttäuschung breit. Eine Hotelanlage reiht sich an die andere, die Architektur entlang der Küste ist trostlos – Stadtplanung ist hier anscheinend ein Fremdwort. Eilat bildet zwar das Tor zur Wüste Negev, doch vom Charme einer Wüstenstadt mit Beduinenzelten, die ich hier vorzufinden hoffte, ist nichts zu spüren. Wir könnten ebenso gut an der Costa Brava sein. Doch Eilat ist auch das Paradies für Nachtschwärmer. Meine Cousine und ich lassen uns nicht zweimal bitten und stürzen uns ins Vergnügen. Alle Vorurteile, die ich diesem Land gegenüber hatte, lösen sich innerhalb von zwei Tagen in Luft auf. Ich habe damit gerechnet, Kibbuzniks in Sandalen zu begegnen, und lerne ein Land kennen, das technisch und wirtschaftlich auf dem höchsten Stand ist. Über das Oberflächliche unserer Klubanlage sehe ich schnell hinweg und bin überwältigt von der allgegenwärtigen Modernität. Kurz: Meine anfängliche Überheblichkeit schlägt in Bewunderung um.
    Eilat ist am Puls der Zeit, seine Bewohner sind jung, urban, ohne Sorgen. Ehud Barak, der Ministerpräsident, gibt mit seiner Beschwichtigungspolitik dem Frieden Aufschwung. Außerdem gibt es hier erstklassigen Espresso und einen Wein, der locker mit dem europäischen mithalten kann – für mich als Kaffee- und Weinliebhaberin nicht ganz unwichtig. Der Geburtstag meiner Cousine fällt in die Ferien, und ich schenke ihr eine Fahrt mit dem Schiff an der Küste von Eilat und der Halbinsel Sinai entlang. Wir verbringen einen großartigen Tag, schwimmen im kristallklaren Wasser, tauchen nach Fischen und Korallen. Als das Boot zur Mittagszeit den Anker wirft, sind rings um uns die Küsten Ägyptens, Israels, Jordaniens und Saudi-Arabiens am Horizont zu erkennen. Der Blick auf die Berge, deren Hänge ins Rote Meer abfallen, ist atemberaubend schön. Es ist endgültig um mich geschehen, und am Ende meiner Ferien steht fest: Genau hier, in Israel, möchte ich mein Leben fortsetzen.

Abschied von der
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