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Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe

Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe

Titel: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe
Autoren: Christian Frascella
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noch mal an die Eier.
    Natürlich war ich am nächsten Morgen gegen vier auf dem Großmarkt und lud Kisten mit Obst und Gemüse ab.
    Der Direktor hatte meinen Vater telefonisch benachrichtigt. Mein Vater hatte die vom Großmarkt telefonisch benachrichtigt. »Lass ihn hart arbeiten«, hatte er dem Aufseher der Kistenträger gesagt. Dann hatte er mich ein paar Sekunden lang scharf angesehen.
    Drei Tage arbeitete ich in der Kälte, ohne zu jammern. Am dritten Tag fing es sogar an zu regnen. Die Haut an meinen Händen riss auf, ich blutete, ich hielt durch, das Blut trocknete, irgendwann war die Arbeit beendet.
    An dem Abend teilte ich meinem Alten mit, dass ich nicht mehr in die Schule zurückkehren würde.
    Er sagte nichts.
    Manchmal dachte ich noch an die Schule zurück, vor allem an die Gewalt an jenem Nachmittag auf dem Schulhof und an Elenas schönes, dummes Gesicht. Dann hörte ich damit auf. Ich hatte zu viel zu tun. Auch die Welt hatte zu tun. Damals wurde die Berliner Mauer abgerissen. Eines Abends sah ich im Fernsehen, wie begeisterte junge Leute sich Ziegelsteine und Schutt von Hand zu Hand reichten. Die zeigten sie als Trophäen ihrer Freiheit. Ich schlief beim Zuschauen auf der Couch ein. Später hob mein Vater mich hoch und trug mich in mein Zimmer. Aus dem Halbschlaf habe ich eine vage Erinnerung: Er streicht mir über die Haare, lächelt traurig, geht aus dem Zimmer.
    Das war 1989.

2
    Ungefähr acht Monate nach meinem Abgang von der Schule fing der Chef plötzlich an, sich sehr ungewöhnlich zu benehmen.
    Er lief mit einem merkwürdigen Glitzern in den Augen im Haus herum und war noch zerstreuter als gewöhnlich. Er trank weniger und arbeitete viel. Seine Ruhepausen in der Hängematte hatten sich drastisch verringert. Und vor allem lächelte er andauernd. Das war in der zweiten Julihälfte. Vielleicht war ihm die Hitze zu Kopf gestiegen. Vielleicht war er kurz davor, verrückt zu werden. Vielleicht waren mein Leben und das der Mönchsrobbe in Gefahr. Täglich berichteten die Fernsehnachrichten über Bluttaten in Familien. Mütter und/oder Väter, die in einem Anfall von Raserei ihre Kinder umbrachten, füllten die Nachrichtenseiten. Von Freunden und Nachbarn wurden diese abartigen Eltern immer als ganz normale Menschen bezeichnet. Normal, einen Scheiß, dachte ich. Besonders das Foto eines Kindsmörders aus der Region Marken versetzte mich in Aufregung. Denn der Mann auf diesem Bild hatte ein ganz ähnliches Grinsen wie das, was der Chef in jenen verfluchten Tagen im Gesicht trug.
    Eines Abends, er war nicht da, die Mönchsrobbe und ich saßen beim Abendessen vor dem Fernseher, verkündete ich: »Meine Liebe, ich glaube, wir beide sind erledigt!«
    Francesca, die ganz in Schwarz, mit ungekämmten Haaren neben mir an einem Brötchen knabberte wie eine Feldmaus, sah mich an, hob eine Augenbraue und fragte, was ich damit meinte.
    »Was ich meine?«, rief ich. »Hast du denn gar nichts bemerkt?«
    »Nein.« Sie blickte sich ein wenig beunruhigt um, als könnte aus einer Zimmerecke plötzlich etwas Böses hervorkommen. »Was soll ich bemerkt haben?«
    »Tja, meine Liebe«, fuhr ich fort, »unsere Tage sind gezählt. Glaub mir.«
    »Warum?«
    »Denk nur immer daran, dass ich dich gewarnt habe. Mehr sage ich dir nicht.«
    Sie knabberte weiter an dem Brötchen. »Ist das wieder eine von deinen bescheuerten Touren?«
    Ich zündete mir eine Zigarette an, machte auf geheimnisvoll.
    Sie sofort: »Pa will nicht, dass im Haus geraucht wird«, und versuchte, mir über den Tisch hinweg die Zigarette aus dem Mund zu reißen.
    »Hände weg, Robbe! Sonst brech ich sie dir! Garantiert!« Ich stand auf. Musste ich als guter Bruder dieses Unglückswesen nun davor warnen, dass der Tod in der Maske eines Maurers, Kistenträgers und von seiner Frau verlassenen ehemaligen Fast-Alkoholikers in unserem Haus umging oder nicht? »Ich sage dir nur eins«, entschied ich mich schließlich. »Pass auf den Chef auf. Beobachte ihn genau und sag mir dann Bescheid.«
    »Warum denn? Was ist mit ihm?«, fragte sie leicht besorgt.
    »Beobachte ihn genau und sag mir dann Bescheid. Und tu mir einen Gefallen: Lern endlich, richtig in das Scheißbrot reinzubeißen, bevor du krepierst!«
    Sie schüttelte genervt den Kopf und knabberte weiter.
    Nichts zu machen. Aber das ist das Schicksal der Idioten. Sie merken nichts und leben ihr Leben mit der stumpfsinnigen Glückseligkeit von Schweinen im Gehege, bis zum blutigen Moment, in dem ein Gewehrschuss
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