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Meine Kuehe sind huebsch, weil sie Blumen fressen

Meine Kuehe sind huebsch, weil sie Blumen fressen

Titel: Meine Kuehe sind huebsch, weil sie Blumen fressen
Autoren: Paul Bedel
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Ruhestand war, haben mir der Stand der Sonne und mein
     Magen gesagt, wie spät es ist.
    Mit der Ortszeit, der wahren Sonnenzeit, haben wir Alten sogar den Besatzern Widerstand geleistet. Als die Boches 1940 hier
     aufkreuzten, haben sie uns auch ihre Zeit aufgezwungen. Kaum waren sie da, zack, haben sie uns auch schon eine Stunde abgezogen.
     Daran erinnert sich keiner mehr, doch damals hat uns das schier verrückt gemacht, gerade auf dem Land. Niemand hätte sich
     gedacht, dass jemand so blöd sein könnte. Wir mussten die Besatzung über uns ergehen lassen, unser Vieh an die neue Zeit gewöhnen,
     und als es dann auch noch die Sperrstunde gab, brach das Chaos aus: bei der Milch, beim Schlaf, bei den Hühnern, die nicht
     in den Stall wollten. Ich hatte also nicht die geringste Lust, mich für den Rest meines Lebens nach der Zeit der Deutschen
     zu richten. Es war schon schwierig genug, nach ihrem Abzug alles wieder in den Griff zu bekommen   …
    Der Krieg nagt an einem, auch wenn er vorüber ist. Er macht dich alt, und zurück bleibt die Angst vor dem Hass zwischen den
     Menschen.
    Ich habe nicht die geringste Lust, mich wieder auf die Zeit der Deutschen einzustellen.

Der Meereswechsel
    Ich fische gerne bei Niedrigwasser, der
basse iâo
. Wir nennen das Fußfischen oder
rocaille
. Dabei verlasse ich mich natürlich nicht auf die Gezeitentafeln. Ich schaue mir lieber die Felsen am Horizont an,
meine
Felsen. Von meinem Haus aus ist das nicht schwer, unser Grund fällt sachte zum Meer hin ab.
    Das Land und der Himmel im Angesicht des Windes, da wird dein Haus zum Schiff. In La Hague könnte man meinen, man sticht von
     der Landspitze aus direkt in See.
    Von meinen vier Wänden aus beobachte ich die Spitzen bestimmter Felsen. Sehen sie hervor, komme ich ohne Probleme zu den Hummerlöchern.
     Da muss man nicht mit der Gezeitentafel in der Hosentasche losstürzen, wie manche Angler es tun, quasi nach Fahrplan. Der
     Meeresspiegel sinkt langsam, in seinem eigenen Rhythmus.
    Ich habe gelernt, wie weit der Meeresspiegel absinkt, je nach Wind und Luftdruck. Bei Hochdruck sinkt er stärker, bei Tiefdruck
     weniger, auch wenn die Gezeitentafeln etwas anderes sagen und die Wissenschaftler, die ihn ausgetüftelt haben.
    Ein Gezeitenkoeffizient von 90 liegt dann in Wirklichkeit bloß bei 83 oder so. Wenn bestimmte Felsen dort, wo meine Hummerlöcher
     liegen, unter Wasser bleiben, dann weiß ich zumindest, dass die anderen Fischer die Löcher nicht entdecken werden.
    Die Gezeitentafeln studiere ich mehr zum Spaß, aberich passe sie meinen Erkenntnissen an. Die Tafeln gehen nur nach den Mondphasen.
    Auf dem Meer darf man sich nicht auf das verlassen, was man sieht oder was in irgendeinem Buch steht. Das kann nämlich täuschen.
     Das Leben hier auf dem Festland ist, als lebe man auf dem Meer, besonders auf der Halbinsel, auf der mein Haus steht, auf
     diesem kleinen Flecken Land am äußersten Ende des Cotentin. Ich beobachte und spüre die Winde schon lange vor der Flut, damit
     ich keine bösen Überraschungen erlebe.
    Die wirklich merkwürdigen Dinge passieren vor allem, wenn das Wasser ganz klar ist. Überhaupt: Je klarer das Wasser, desto
     trügerischer ist es. Dann sieht man bis auf den Grund des Meeres und bildet sich vielleicht ein, die Felsen seien draußen
     zu sehen. Das ist ein Trugbild wie die Meteore am Himmel oder eigenartige Lichterscheinungen, die sich einstellen, wenn man
     abends mutterseelenallein auf seinen Feldern ist. Das Wasser hat seine Tiefe. Je tiefer es ist, desto ruhiger und heimtückischer
     ist es. Gerade an diesen Orten verbergen sich oft unerwartete Dinge.
    Dazu kommt der Nebel, der über uns herfällt und hinterhältig das Land ummodelt, deine Orientierungspunkte verbirgt. Schon
     hast du keine Ahnung mehr, wo du dich befindest. Darum hält man es mit dem Meer wie mit allem anderen auch. Man lernt, dem
     Anschein zu misstrauen. Man schreibt seine Beobachtungen auf, um sie fürs nächste Mal zu bewahren. Der Tidenhub der Tagundnachtgleiche
     im Herbst und im Frühling gibt einen guten Anhaltspunkt für das kommende Fischereijahr. Das Wetter zu dieser Zeit zeigt an,
     wie das Wetter in den folgenden Gezeitenperioden sein wird, vorausgesetzt, es gibt im Juni keine »drei Monde« (also einen
     Vollmondmehr). Mein Vater nannte das einen »Meereswechsel«. Die Gezeiten richten sich nach der Erdumdrehung. Beim »Meereswechsel«
     schlägt das Wetter zwischen den Tagundnachtgleichen noch einmal um.
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