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Mein Tag ist deine Nacht

Mein Tag ist deine Nacht

Titel: Mein Tag ist deine Nacht
Autoren: Melanie Rose
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ich?«
    Meine Stimme klang selbst in meinen Ohren verdrießlich und mürrisch, und das Lächeln auf seinen Lippen erstarb, als ihm das Ausmaß des Problems klar wurde.
    »Ach du je, nicht mal daran erinnerst du dich?«
    Ich schüttelte den Kopf. Er seufzte und fuhr sich ein wenig ängstlich mit der Zunge über die Lippen.
    »Lauren, du bist fünfunddreißig. Du warst fünfundzwanzig, als wir geheiratet haben, ich siebenundzwanzig«, setzte er hinzu, als er sah, dass ich rechnete. »Wir waren damals sehr verliebt ineinander – und sind es noch.«
    »Wann habe ich Geburtstag?«
    »Am neunzehnten Juni.«
    »Gar nicht wahr«, entgegnete ich. »Ich wurde am neunundzwanzigsten April geboren. So ein Datum würde ich doch nie vergessen!«
    Grant mied meinen Blick und zuckte die Achseln. »Ist nur eine Kleinigkeit, Schatz.«
    »Na gut.« Ich holte tief Luft und versuchte mich zusammenzunehmen. »Wie alt sind unsere Kinder?«
    »Sophie ist acht, Nicole sechs und die Zwillinge sind erst vier.«
    Schweigend saßen wir da, während ich die grässliche Vorstellung zu verdauen versuchte, dass ich vierfache Mutter sein sollte. Bislang hatte ich kaum mit Kindern zu tun gehabt. Ich arbeitete als Sekretärin in einer kleinen Kanzlei, wo ich für weit mehr verantwortlich war, als Berichte, Protokolle und Diktate in den Computer zu tippen. Ich half einem der Anwälte auch bei Recherchen für aktuelle Fälle, las Briefe und Rechtsgutachten Korrektur und, weit interessanter, nahm an Gerichtsverhandlungen, Gesprächen auf Polizeiinspektionen und Begegnungen mit Mandanten teil.
    Da ich anstrebte, in naher Zukunft selbst Rechtsanwältin zu werden, hatte ich im Begriff gestanden, ein rechtswissenschaftliches Diplom zu erwerben, und infolgedessen wenig Zeit für mich selbst gehabt, geschweige denn, an eine Ehe oder Kinder zu denken.
    Ich hielt in meinen Gedanken inne. Vielleicht war es an der Zeit, die Wahrheit zu sagen. »Es ist nicht so, dass ich die Erinnerung verloren habe«, versuchte ich dem Mann neben mir zu erklären. »Ich habe Erinnerungen – nur eben andere als die, die ich deiner Meinung nach haben sollte.«
    »Wir sollten das mit Dr.Shakir besprechen.« Grant sah mich zweifelnd an. »Vielleicht hat der Blitzschlag bei dir eine Störung verursacht, die unwirkliche Gedanken in dir hervorruft.«
    Ich erinnerte mich an die Aufzeichnungen, die ich an meinem letzten Arbeitstag in der Kanzlei gemacht hatte. Ich konnte mich fast Wort für Wort daran erinnern. Ich sah den Kalender meines Chefs vor meinem geistigen Auge, wo ich die Daten und Termine mit Mandanten und seine Gerichtsauftritte für die folgende Woche eingetragen hatte. Ich entsann mich sogar, was ich am Freitagabend nach meiner späten Heimkehr gegessen hatte.
    »Für mich sind meine Erinnerungen real«, erklärte ich ihm.
    Müde schüttelte er den Kopf. »Ich weiß nicht, Lauren. Auch ich komme mit alledem nur schwer zurecht. Ich lag die ganze Nacht über wach und habe darauf gewartet, dass du wieder zu Bewusstsein kommst. Und die Kinder vermissen dich, sie sind völlig durcheinander …«
    Er warf mir einen Seitenblick zu und drehte nervös an seinem Ehering. Ich schaute auf meine eigene rechte Hand hinab, zog eine Ecke des weißen Heftpflasters weg, mit dem die Tropfnadel befestigt war, und legte meinen Ringfinger frei. Ich schnappte nach Luft. Dort glänzte ein dünner Goldring.
    Was für ein teuflischer Traum, dachte ich mir und klebte das Pflaster wieder hastig darüber. Aber Traum oder nicht, mir war nicht entgangen, dass er bei der Erwähnung der Kinder besorgt gewirkt hatte. Trotz der außergewöhnlichen Umstände war meine Neugierde geweckt.
    »Was noch?«, wollte ich wissen. »Über die Kinder? Du hast mir doch etwas verschwiegen!«
    »Ich wollte hinzufügen, ›besonders Teddy‹«, sagte Grant leise.
    »Teddy?«
    »Edward, der jüngere der Zwillinge«, erklärte er. »Bei ihrer Geburt kam es zu Komplikationen. Toby befand sich in Steißlage und brauchte lange, um herauszukommen. Teddys Gehirn erhielt währenddessen nicht genügend Sauerstoff. Er hat … Lernschwierigkeiten.«
    Niedergeschlagen dachte ich über die letzte Neuigkeit nach. Vielleicht erlebte ich ja nur einen intensiven Traum, aber ich war immer noch da, führte dieses Leben bis zu meinem Erwachen, und es schien jeden Augenblick komplizierter zu werden. Wie konnte ich es schaffen, die Mutter all dieser Kinder zu sein? Vor allem die eines Kindes mit besonderen Bedürfnissen? Was für eine Art von
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