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 Mein spanisches Dorf

Mein spanisches Dorf

Titel: Mein spanisches Dorf
Autoren: Brigitte Schwaiger
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Aber immer, wenn er so gesessen ist und gespielt hat und gespielt, habe ich mir vorgestellt, wie er das dreimal hintereinander in so kurzer Zeit gemacht hat, und ich habe gefunden, daß der Herr Rösslhuber übertreibt. Und wie er mir dann eines Tages auf einem Zettel geschrieben hat IL BACIO, damit ich das richtige Heft vom Klingenden Alphabet kaufe, da hat er gesagt: «Bacio ist italienisch und heißt Kuß.»
    Ich habe gar nicht schlafen können, am Dienstagabend und am Mittwoch und jede Nacht bis zum Montag, weil ich mir immer wieder vorgestellt habe, wie ich auf dem Klavier vom Herrn Rösslhuber IL BACIO spiele und sich dann der Herr Rösslhuber über das Klavier beugt und mich fragt, ob ich jetzt, wo ich den Kußwalzer so gut gelernt habe, auch lernen möchte, was ein Kuß ist, und daß er es mir dann zeigen will. Am Montag habe ich zur Leitner Lisi gesagt, daß mich das Klavierspielen eigentlich überhaupt nicht interessiert, und sie hat gesagt, sie interessiert es auch nicht. Am Dienstag haben wir dann die Klavierstunde geschwänzt, und am nächsten Dienstag wieder, und so lange, bis unsere Eltern draufgekommen sind. Wir haben zu unseren Eltern gesagt, daß uns das Klavierspielen die ganze Jugend verdirbt, und das haben sie nicht verstanden. Aber sie haben es dann aufgeben müssen, weil wir einfach gesagt haben: «Wir gehen nicht mehr zum Herrn Rösslhuber.» Heute ist er Professor am Konservatorium, und seine drei Söhne spielen Violine.

Menthinen
     
     
    Jugendfrei! Wenn die Anneli kein Geld kriegt fürs Kino, geht sie einfach mit mir, und wir setzen uns auf einen Platz, das ist erlaubt, weil wir so klein und dünn sind. Oder wenn sie schon um zwei Uhr war, und ich habe meine Karte für vier, und die Anneli kommt mir mit roten Wangen in der Salzgasse entgegen und sagt, es war so schön, dann nehme ich sie mit mir hinein, und wir setzen uns auf einen Platz und rutschen hin und her, und die Anneli sagt voraus, was passiert. Ihr Atem ist ganz heiß, wenn sie mir ins Ohr flüstert, wer wen heiratet. Und wenn er sie gekriegt hat, ist das Kino aus. Sie umarmen sich zum Schluß, der Mann legt seinen Mund auf das Kinn von der Frau, die Musik kommt noch einmal sehr herrlich, aber dann wird es hell, und wir haben alle Menthinen aufgegessen. Das blauweiße Zellophanpapier schmeißen wir weg. In der Salzgasse ist es kühl. Die Anneli muß gleich heimgehen, weil ihr Vater jeden Sonntag einen Rausch hat, da kriegt sie ihre Watschen. Ich muß auch heim, weil ich auf der Straße nichts verloren habe.
    Du bist kein Gassenkind! Du bist kein Gassenmensch! Daß ich mit der Anneli im Kino war, darf ich nicht sagen. Ich sage nur, es war sehr schön. Wir wollen nicht, daß du mit ihr spielst, ihre Eltern sind Proleten, und das verstehst du noch nicht! Die Anneli kommt uns nicht ins Haus! Und wehe, wenn dich der Papa mit ihr noch einmal auf der Straße sieht! Er erlaubt es nicht, hörst du? Und damit du es ein bißchen begreifst: Unsere Frieda hat vorigen Sommer das Fahrrad beim Greutler vergessen, direkt vor dem Geschäft, und die Mutter von der Anneli hat es aufs Fundamt gebracht, damit sie zwanzig Schilling herausschindet, aber sie muß genau gewußt haben, das blaue Fahrrad gehört uns! Und den Vater von der Anneli kennst du ja, wie er betrunken auf der Straße liegt. Du mußt einsehen, daß wir die Anneli nicht erlauben! Warum spielst du nicht mit der Leitner Lisi oder mit der Roggenschaub Gundula? Das sind gute Familien wie wir! Du mußt nicht unbedingt mit dem Frühwirthmensch Blumen pflücken gehen! Schämst du dich nicht mit so einer, der die Rotzglocke herunterhängt, weil ihre Mutter sie nicht einmal schneuzt? Daß es dir da nicht graust! Und noch ein letztesmal: wenn mir wieder jemand erzählt, er hat dich mit der Anneli gesehen, gibt es Ohrfeigen und Hausarrest!
    Beim Frühwirth haben sie einen Fernsehapparat, und die Löwinger-Bühne ist so wahnsinnig lustig, da setzt sich einer auf einen heißen Ofen und so, sagt die Anneli, sogar der Vater lacht! Ich habe es vorsichtig meinem Vater erzählt, daß ich gehört habe von einer Löwinger-Bühne, da würden wir es lustig haben daheim, wenn wir auch einen Fernsehapparat hätten. Aber mein Vater hat etwas Furchtbares geantwortet, ich bin primitiv oder so, und einen Fernsehapparat kaufen sich nur die Primitiven, und die Anneli sagt, bei jedem Namenstag wird man um ein Jahr älter. Nein, sage ich, nur beim Geburtstag! Aber auch bei jedem Namenstag, sagt sie. Da müßten wir
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