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 Mein spanisches Dorf

Mein spanisches Dorf

Titel: Mein spanisches Dorf
Autoren: Brigitte Schwaiger
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den Führer war, zum Onkel nach Budweis gefahren ist, war der Onkel in einem Lager. Jeden Tag ist sie sechs Kilometer zu Fuß gegangen und hat ihm ein Stück Schwarzbrot gebracht. Die Bewacher von dem Lager haben ihr Zeitungen und Illustrierte gezeigt mit Fotografien über Verbrechen, die der Führer begangen haben soll. Da hat sie gehofft, daß es nicht wahr ist.
    Und wie meine ältere Schwester später aus dem Kino heimgekommen ist und gesagt hat, es war wirklich furchtbar, was sie in Mein Kampf gesehen hat, da hat die Mutter gesagt, es ist ein Film, in dem alles übertrieben wird, und der Hitler war unschuldig, aber von bösen Menschen umgeben, die ihn betrogen und ausgenützt haben.
    Und wie ich gefragt habe, wer das ist, der Hitler, da hat sie meinen Vater angeschaut, damit er es erklärt, aber der Vater hat geschwiegen. Und wie meine Schwester es mir gerade sagen will, sagt die Mutter, daß der Hitler ein Mann war, der aus Deutschland zu uns nach Österreich gekommen ist, weil er gesehen hat, daß es bei uns keine Arbeit gibt, und er hat uns eine Arbeit gegeben, und alle haben dann arbeiten dürfen. Da habe ich gesagt: So ein Trottel. Und die Mutter hat mir eine geschmiert.

Dahingerafft
     
     
    Die Schwester Dorothea hat eine spitze Nase mit einem Tröpfchen.
    «Glasner Leopoldine!» ruft sie. «Warum weinst du?»
    Der Glasner Poldi ihre Zähne stehen vorne weit auseinander. «Ich hab Heimweh», sagt sie.
    Die Ärmel von der Glasner Poldi sind schwarz wie das ganze Internatsgewand. Aber ihre Haare kräuseln sich über der Stirn, und ihre Augen haben Wimpern, aber die von der Schwester Dorothea nicht. Die sind nur immer so religiös.
    «Hör auf mit dem Weinen! Setz dich wieder nieder.»
    Die Poldi setzt sich in die hölzerne Bank und schneuzt sich. Das Taschentuch steckt sie in den Ärmel, so wie die Klosterschwestern von der Klosterschule der Armen Schulschwestern am Klosterbergerl immer ihre Taschentücher in die schwarzen, weiten Ärmel schieben. Voller Ehrfurcht und Benehmen schaut die Poldi auf die Schwester Dorothea.
    Wenn die Schwester Dorothea eins von ihren Taschentüchern herausnimmt, riecht es süßlich. So, wie es einem gleich ins Gesicht fährt, wenn man die Klostertür aufmacht und vorbei am Pförtnerfenster, wo die Frau Pfleger sitzt, durch die Gänge ins Klassenzimmer geht. Die Frau Pfleger hat es gut, die braucht nur dort zu sitzen, und immer häkelt sie. Und immer riecht die Luft so süßlich und aufgewärmt. Es kommt vielleicht aus der Klosterküche. Oder aus dem Zimmer, wo niemand hinein darf, nur der Pfarrer, weil darauf steht: Klausur.
    Wie die Schwester Dorothea gestorben ist, haben wir in Zweierreihe antreten müssen und hinein in ein kaltes Kabinett, wo die spitze Nase aus vielen Gladiolen herausschaut. Wie aus gelbem Wachs liegt die Schwester Dorothea, mit gefalteten Händen, im offenen Sarg.
    Die Kinder fürchten sich ein bißchen und sind ein bißchen froh: wieder eine weniger.

Der Kaiser Josef
     
     
    Der Kaiser Josef wohnt hinter der Brauerei mit seiner Mutter, die so schwer geht, weil sie dickes Blut hat, und mit seiner Schwester, die bildet sich etwas ein, aber der Josef spielt Vater, Mutter und Kind mit uns, und einmal, wie wir gerade so schön gespielt haben, sagt er, er zeigt uns alles, wenn wir ihm auch alles zeigen, und er weiß einen Platz, wo uns niemand sieht. Dort haben wir uns auf den Linoleumfußboden gesetzt, und er hat seine Hose aufgemacht und hat alles gezeigt. Aber wie wir es so gesehen haben, sagt die Leitner Lisi, sie zeigt ihm nichts, weil er ist sitzengeblieben und geht erst in die zweite Volksschule. Da hat er gesagt, wir sollen ihm wenigstens unseren Hintern zeigen, und wir haben gesagt nein.
    Dann haben wir wieder Vater, Mutter und Kind gespielt. Aber irgendwie haben wir jetzt richtig gespürt, daß er als Mann unser Beschützer ist.

Der Herr Rösslhuber
     
     
    Es ist nur die Schuld vom Herr Rösslhuber, daß ich nicht klavierspielen kann. Er war mein Klavierlehrer. Die Leitner Lisi und ich haben bei ihm miteinander Klavierstunden gehabt jeden Dienstag um drei, und sie kann auch nicht klavierspielen, und das war so:
    Wie mich die Leitner Lisi aufgeklärt hat, hat der Herr Rösslhuber gerade geheiratet, und er und seine Frau haben dreimal hintereinander ein Kind gekriegt. Von der Leitner Lisi habe ich aber jetzt gewußt, was ein Mann mit seiner Frau machen muß, nur damit sie ein Kind kriegt, und der Herr Rösslhuber hat wunderbar klaviergespielt.
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